Inhaltsbereich der Seite
Heizkraftwerk Linden
"Die drei warmen Brüder" - so bezeichnen die Lindener das Heizkraftwerk an der Glocksee. Es produziert seit rund 50 Jahren Strom und Fernwärme. Vom Bau, den ersten Betriebsjahren und der weiteren Entwicklung bis heute berichtet der Journalist Torsten Bachmann.
Dieser Artikel ist dem Buch "Linden - Neue Streifzüge durch die Geschichte" des Journalisten Torsten Bachmann entnommen.
Die "drei warmen Brüder" sind Heizkraftwerk und Wahrzeichen zugleich
Von Torsten Bachmann
Das Heizkraftwerk Linden - die "drei warmen Brüder".
[Quelle: enercity]Sie gelten als Wahrzeichen von Linden. Auf Stickern, Taschen, Autoaufklebern und vielen anderen Gegenständen sind die „drei warmen Brüder" zu sehen. Die 125 m hohen Schornsteine des Heizkraftwerks Linden prägen die Kulisse des Stadtteils. Streng genommen sind es nicht mehr drei warme Brüder, sondern nur noch zwei. Denn einer der drei Kraftwerksblöcke wurde 2003 aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt. Den nicht mehr benötigten Schornstein aber hat man dort belassen. So bleibt die markante Silhouette dem Stadtteil erhalten.
Anfang der 50er Jahre stieg der Stromverbrauch in Deutschland immer mehr an. Nicht nur die Industrie benötigte im beginnenden Wirtschaftsboom immer mehr elektrische Energie sondern auch die Privathaushalte, die sich vermehrt Elektrogeräte wie Fernseher oder Waschmaschinen anschafften. Der steigende Stromverbrauch machte den Bau neuer Kraftwerksanlagen notwendig, auch in Hannover. Und so entschlossen sich die Stadtwerke, einen modernen und effizienten Kraftwerkstyp zu bauen: ein Heizkraftwerk, dass gleichzeitig Strom- und Fernwärme liefert.
Der Beschluss dazu erfolgte am 4. Februar 1959. Das Heizkraftwerk sollte wegen der Fernwärmeversorgung möglichst zentral gelegen sein. Denn die Versorgung von (größeren) Gebäuden mit Warmwasser und Heizung erforderte eigene Rohrleitungen. Somit kam nur bebautes Stadtgebiet nahe der City in Frage. Da hier aber der Platz für große Kühlturme fehlte, suchten die Planer einen Standort an einem Fluss, aus dem Kühlwasser entnommen werden kann. An der Ihme fand sich schließlich das geeignete Gelände. Auf dem Areal hatten bis zum Zweiten Weltkrieg eine Ultramarin- und eine Asphaltfabrik gestanden. Bei den Luftangriffen auf Hannover waren beide Fabriken zerstört worden. Ihre Trümmerreste mussten nun für den Kraftwerksbau beseitigt werden.
Ein Foto aus dem Jahr 1961: Das Heizkraftwerk wird gebaut – links die alte Konstruktion der Spinnereibrücke.
[Quelle: enercity]
Der Rat der Stadt Hannover setzte beim gefundenen Standort strenge Kriterien an. So sollte das Heizkraftwerk nicht durch hohe Schornsteine als Industriebau erkennbar sein. Und während des Betriebs sollte kein Lärm nach außen dringen. Auch die geplante Grünzone an der Ihme durfte von dem neuen Bau nicht eingeengt werden. Aus diesen strengen Auflagen entstanden drei Kraftwerksblöcke, deren Schornsteine sich damals - nicht wie heute weithin sichtbar - versteckt in den Türmen befanden. Die Außenwände der Blöcke wurden durch schwere Ausmauerung schallhemmend gebaut und für die Abgase war eine Filterreinigungsanlage vorgesehen.
Im August 1962, nach gut dreijähriger Bauzeit, ging das Kraftwerk ans Netz. Die Fernwärmeversorgung wurde ein Jahr später in Betrieb genommen. Die Hannoversche Rundschau schrieb dazu am 1. Oktober 1963: "Pünktlich zu Beginn der Heizperiode drehte Ratsherr Garvens die roten Handräder in der Wärmezentrale des neuen Heizkraftwerks auf. Von nun an fördern die starken Umwälzpumpen das Heizwasser, das vorher bereits in Form von Dampf elektrische Energie erzeugt, durch die Leitungen des Fernheiznetzes."
Das Heizkraftwerk im Jahr 1965 – zu dieser Zeit sind die Schornsteine noch versteckt und jeweils nur 65 Meter hoch.
[Quelle: enercity] Die "drei warmen Brüder" heute: Im linken und rechten Kraftwerksblock befinden sich hochmoderne Gas- und Dampfturbinenanlagen.
[Quelle: enercity]
Für die Fernwärmeversorgung waren 10 Kilometer Leitungen verlegt worden: Zwei große Hauptstränge mit vielen Zweigleitungen sorgten dafür, dass das heiße Wasser als Fernwärme in den Heizkörpern großer Abnehmer ankommt. So versorgte die eine Hauptleitung zwei Krankenhäuser, drei Schulen und das Landesverwaltungsamt mit Heizwärme. Der zweite Hauptstrang führte vorerst zum neuen hannoverschen Rathaus und sollte innerhalb kurzer Zeit bis in die Innenstadt erweitert werden, um dort die großen Kaufhäuser und andere Gebäude mit Heizwärme und Warmwasser zu versorgen. In den Folgejahren schloss man immer mehr Wohngebäude an die Wärmeversorgung an. Etwa 20.000 Haushalte konnten inzwischen beheizt werden. Nach Linden hingegen wurden keine Fernwärmeleitungen verlegt. Viele Lindener Wohnungen waren noch mit Kohleöfen ausgestattet. Dort wollte man zuerst eine Sanierung der Häuser abwarten, bevor die hohen Kosten für die Heizleitungen aufgebracht werden.
Bis 1990 wird die Kohle für das Heizkraftwerk teilweise unterirdisch transportiert.
[Quelle: enercity]
Anfangs wurde das Heizkraftwerk mit Steinkohle und Heizöl befeuert. Für die großen Kohlentransportschiffe war die Ihme nicht befahrbar, sie mussten am Lindener Hafen anlegen. Dort transportierten Spezialwaggons der Stadtwerke die Kohle weiter. Die Gleise führten allerdings nicht direkt bis zum Heizkraftwerk, sondern endeten einige hundert Meter entfernt am Waggon-Kohle-Entladeterminal an der Fössestraße. Von dort nahm die Kohle einen außergewöhnlichen Weg: durch einen Tunnel, der unter dem Gehweg der Fösse- und Elisenstraße bis zum Heizkraftwerk führt. Eingebaute Förderbänder transportierten die Kohle über die gesamte Tunnelstrecke.
Als die Stadtwerke 1990 den Betrieb des Heizkraftwerks auf Erdgas umstellten, wurden die Gleise der Kohlebahn vom Lindener Hafen, das Entladeterminal und der Tunnel stillgelegt. Aber nicht nur die Umstellung auf Erdgasbetrieb sorgte für Veränderungen, auch der Bau des nahe gelegenen Ihmezentrums: Damit die Abgase des Kraftwerks nicht direkt den Bewohnern der oberen Etagen des Ihmezentrums um die Nase wehen, wurden 1975 die Schornsteine von 65 m auf 125 m erhöht. Sie waren damit erstmals sichtbar und bilden bis heute die markante Silhouette.
Moderne Technik: Technischer Direktor Harald Noske und Kraftwerksleiter Wolfgang Klingebiel an einer Turbine des Heizkraftwerks.
[Quelle: enercity]
Um das Heizkraftwerk auf einem modernen Stand zu halten, investierten die Stadtwerke immer wieder in neue Technik. Durch die Umstellung auf Erdgasfeuerung im Jahr 1990 war die Grundlage gelegt, das Kraftwerk zu einer hocheffizienten Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD) auszubauen. Zwei der drei Kraftwerksblöcke wurden in einem mehrjährigen Umbauprozess, der im April 2013 abgeschlossen werden konnte, umgerüstet. Eine der modernsten GuD-Anlagen Europas steht jetzt in Linden. Rund 60 Prozent der eingesetzten Energie werden in Strom umgewandelt. Zum Vergleich: den mittleren Kraftwerksblock der „drei warmen Brüder" legte man 2003 aus wirtschaftlichen Gründen still. Der elektrische Wirkungsgrad betrug gerade 37 Prozent.
© 2015 Torsten Bachmann, Hannover
www.torsten-bachmann.de