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In Linden entsteht die erste Gasanstalt Deutschlands
Eine Chronologie von Horst Bohne und Michael Jürging
Die Gasanstalt in der Glocksee um 1840 nach der Kopie eines Aquarells von Leonhard Körting
[Quelle: Archiv des ehemaligen Gasbereiches der Stadtwerke Hannover AG]
1825 legt die in London ansässige ‚Imperial Continental Gas Association' eine der ersten Gasanstalten Europas am Ihmeufer in der Glocksee an. Bis 1829 hat die Glocksee noch zum Gemeindebereich von Linden gehört. Es handelt sich nicht nur um die erste Gasanstalt in Deutschland, sondern auch auf dem europäischen Kontinent. Linden kann also stolz sein!
1826 wird in Hannover die Straßenbeleuchtung von Talg- und Öllampen auf Gaslaternen umgestellt.
1854 wird eine Hauptgasleitung über die Ihmebrücke am Schwarzen Bären nach Linden verlegt. Auch dort wird die Straßenbeleuchtung - vorerst für die Hauptstraßen - auf Gaslaternen umgestellt.
Das Werk in der Glocksee beliefert bis 1912 Linden mit Gas. Danach versorgt das Zweigwerk des Unternehmens, das in den Jahren 1911/12 am Bauweg in Linden errichtet wurde, mit einem Gashochbehälter die Ortschaften westlich von Ihme und Leine (bis nach Gehrden). Diese zusätzliche Anlage war durch die enorme Industrialisierung Lindens mit einer entsprechenden Zunahme der dortigen Bevölkerung nötig geworden. Der Typ des Gasometers, ein Teleskopbehälter, entspricht dem kleineren Gasbehälter in der Glocksee.
Arbeiter der Gasanstalt in der Glocksee um 1900
[Quelle: Archiv des ehemaligen Gasbereiches der Stadtwerke Hannover AG]
Weibliche Arbeitskräfte der Gasanstalt während des ersten Weltkriegs
[Quelle: Archiv des ehemaligen Gasbereiches der Stadtwerke Hannover AG]
1914 wird die Verwaltung des englischen Gaswerks mit Beginn des ersten Weltkriegs von der Stadt Hannover übernommen. 1919 geht das Gaswerk in das Eigentum der Stadt Hannover über.
Die Gasanstalt in der Glocksee in den 1930er Jahren. Die Eisenbahnbrücke über die Ihme diente für die Kohlentransporte vom nahe gelegenen Güterbahnhof Küchengarten.
[Quelle: Archiv des ehemaligen Gasbereiches der Stadtwerke Hannover AG]
Im Bereich des ehemaligen königlichen Küchengartens, der Mitte des 19. Jahrhunderts seine Bedeutung verloren hat, entsteht ab 1870 für die Bedürfnisse der aufstrebenden Lindener Industrie an der Fössestraße der Güterbahnhof Küchengarten. Er ist vorerst Endstation der Zweigbahn vom Bahnhof Fischerhof um den Lindener Berg herum bis zum Küchengarten. Von dort muss die Kohle, aus der durch Verkoksung das Gas gewonnen wird, zum Gaswerk in der Glocksee befördert werden. Zuerst geschieht das mit einer Seilbahn vom Küchengarten über die Ihme hinweg. Dann baut man eine Eisenbahnbrücke über den Fluss. Sie hat noch lange Bestand, bis sie um 1960 abgerissen wird.
An der Glocksee gab es zwei Gashochbehälter. Der eine hatte eine Teleskopkonstruktion, bei der sich - je nach Gasinhalt - der Deckel hebt oder senkt. Der zweite war ein Festbehälter, dessen Außenform sich nicht änderte.
Schema mit den verschiedenen Gasometern im Betrieb der Stadtwerke Hannover AG
[Quelle: Archiv des ehemaligen Gasbereiches der Stadtwerke Hannover AG]
Am 24. Mai 1956 gibt es plötzlich einen großen Knall. Bei Reinigungsarbeiten am kleineren Behälter hat sich ein Gasgemisch gebildet, das plötzlich zur Explosion kommt. Es gibt einen Toten und sechs Verletzte. Im selben Jahr werden die Reste des explodierten Kessels abgerissen.
Der größere Gasometer hat noch bis 1971 Bestand. Dann wird auch er abgerissen. Denn inzwischen reicht der Platz an der Glocksee für die notwendigen Erweiterungen und Modernisierungen des Gasbetriebes nicht mehr aus. Stattdessen entstehen dort neue Verwaltungsgebäude der hannoverschen Stadtwerke. Die verbliebenen alten Bauten beherbergen nun das UJZ, das "Unabhängige Jugendzentrum" Glocksee, und die Betriebskantine der Stadtwerke Hannover AG.
Am 9. November 1957 wird an der Schulenburger Landstraße der neue Hochdruck-Kugelgasbehälter mit erheblich größerer Speicherkapazität für importiertes und inländisches Erdgas von den norddeutschen Gasfeldern in Betrieb genommen (auch er wurde inzwischen schon wieder abgerissen). Die Gasspeicherung erfolgt nunmehr zum größten Teil in unterirdischen Kavernen in ausgelaugten Salzstöcken in der hannoverschen Umgebung, wie z.B. in Empelde und Engelbostel.
Beim Zweigbetrieb am Bauweg in Linden wird der Teleskopgasbehälter 1959 durch einen Zwei-Kugel-Gasbehälter ersetzt, der fünzig Jahre lang in Betrieb bleibt. Zum Schluss wird er allerdings nur noch als Lagerkapazität genutzt und nicht mehr für die Produktion. Im Jahr 2010 wird er abgerissen.
Noch einmal zurück zur Glocksee: Dort wird seit 2011 der Überschwemmungsbereich rechts der Ihme von oberhalb der Benno-Ohnesorg-Brücke am Schwarzen Bären bis zur Leinert-Brücke (frühere Spinnereibrücke) auf etwa 800 m Länge erheblich verbreitert. Der Abfluss soll bei starken Hochwässern beschleunigt werden, um einen Rückstau und damit Überschwemmungen in Ricklingen zu vermeiden. Dafür müssen große Flächen östlich der Ihme, gegenüber vom Ihmezentrum, ausgekoffert werden.
Bodenmieten während der Bauarbeiten im künftigen Überschwemmungsbereich der Ihme zwischen Benno-Ohnesorg-Brücke und Leinertbrücke im August 2012
[Foto: Horst Bohne]
Dabei ist man im Bereich des früheren Gaswerks auf umweltschädliche Altlasten im Boden gestoßen. Noch bis in die 1960er Jahre waren hier hochgiftige Stoffe in so genannten Teerölbecken versenkt worden. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sowie Zyanide und Benzole, vermischt mit Bauschutt, müssen nun auf Deponien und Verbrennungsanlagen in Deutschland und Holland entsorgt werden. Beim Bodenaushub wurden Dämpfe und Gase frei, was mit einer erheblichen Geruchsbelästigung verbunden war. Um das etwas einzuschränken, wurden Großventilatoren und Absauganlagen eingesetzt. Stinkende Erdhaufen wurden bis zum Abtransport in einem großen Zelt zwischengelagert. Am Ende wurde eine dreißig Zentimeter dicke Lehmschicht unter den neuen Mutterboden gebracht, damit künftige Niederschläge keine Giftstoffe in das Grundwasser auswaschen.
Bodensanierung im Bereich des ehemaligen Gaswerks im November 2010
[Foto: Horst Bohne]Zelthalle für die Zwischenlagerung von kontaminiertem Bodenaushub im Januar 2011
[Foto: Horst Bohne]
Das umfangreiche Auskoffern und Abtragen des Bodens bedingte allerdings auch, dass 104 Bäume und Großsträucher abgeholzt werden mussten, die in diesem Bereich gestanden hatten. Das rief erheblichen Unmut und Zorn bei Anliegern und Naturschützern hervor. Eine "Initiative gegen das Calenberger Loch" wurde gegründet, und bei Protestaktionen ketteten sich Aktivisten auf Bäumen an, um deren Fällung zu verhindern. Eine Eilklage gegen das Bauvorhaben scheiterte. Trotzdem musste die Stadt das Gelände nach teils heftigem Vandalismus weiträumig mit Stahlplatten absperren, nachdem immer wieder Brandsätze gelegt, Fahrzeuge demoliert und sogar Wachleute bedroht worden waren.
Baumstämme von gefällten Rotbuchen und Eschen vor der Ida-Arenhold-Brücke im August 2012
[Foto: Horst Bohne]
Inzwischen ist das Gelände des früheren Gaswerks saniert und begrünt worden. Direkt am Flussufer, wo kein Boden abgetragen werden musste, blieben einige Gehölze stehen (siehe Vergleichspanorama am Ende dieses Beitrags). Neu angepflanzte Bäume im Bereich der Grünfläche brauchen nun ihre Zeit, um zu einem neuen Parkcharakter beizutragen.
Saniertes und wiederbegrüntes Gelände des ehemaligen Gaswerks im August 2012 mit der Leinertbrücke im Hintergrund
[Foto: Horst Bohne]
Es war doch von vornherein klar, dass man nach der Bodensanierung den Uferstreifen nicht als öde Fläche hinterlassen würde. Es handelt sich hier um eine Jahrhundertmaßnahme mit nachhaltiger Wirkung, wenn auch zu dem Gesamtprojekt unterschiedliche Meinungen herrschen. So stellte sich die Frage, ob man das viele Geld nicht eher dazu hätte verwenden sollen, um in der Leineaue südlich von Hannover größere Flächen anzukaufen und für den Hochwasserrückhalt umzugestalten. Unabhängig davon wäre die Entsorgung der schadstoffbelasteten Fläche des ehemaligen Gaswerks allerdings früher oder später ohnehin nötig geworden. So hat man diese Arbeiten gleich in das große Konzept einbezogen, zumal die neue Leinertbrücke an der Glocksee schon mit einem erweiterten Durchlaufbogen errichtet worden war, wie es dann beim Neubau der Benno-Ohnesorg-Brücke am Schwarzen Bären nach gleichem Muster geschehen ist.
Freiflächengestaltung mit Wegen, Sitzmauern und Baumanpflanzungen im abgesenkten Überschwemmungsbereich der Ihme im August 2012
[Foto: Horst Bohne]
Und wer regelmäßig den Verlauf der Arbeiten verfolgt hat, konnte sich schon ein Bild von dem zukünftigen Gesicht des neuen, durchgängigen „Ihmeparks" oder „Oheparks" machen, der dann - mit entsprechendem Baumbewuchs - vom Schnellen Graben bis zum Zusammenfluss von Ihme und Leine reichen wird. Dazu braucht die Natur aber Zeit, die man ihr gewähren muss. In wenigen Jahren wird das gesamte Areal sicherlich mit zu den schönsten Grünanlagen zählen, die Hannovers Ruf als „Stadt im Grünen" weiterhin bestätigen wird. Und wenn dann wirklich mal wieder ein Jahrhunderthochwasser wie 1946 Hannover heimsuchen sollte, werden sich hoffentlich die immensen Kosten der Umgestaltung bezahlt machen.
Panorama des ehemaligen Gaswerkgeländes: Zustand im Mai 2010 (oben) und im Mai 2012 (unten)
Dank
Für die Bereitstellung der historischen Abbildungen danken wir Hans-Jürgen Junk (Stadtwerke Hannover AG).
Das kostenlose Programm Pannellum, das die Navigation in den beiden Panoramen ermöglicht, hat Matthew Petroff entwickelt.
[Eingestellt am 09.07.2009; zuletzt geändert am 03.02.2017]
Gebäude, Institutionen, sonstige Einrichtungen
- Gasanstalt Glocksee, Braunstraße, Hannover