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Auch Linden hat seinen Tunnel
von Horst Bohne
1965 fand in Hannover am Waterlooplatz der erste Rammstoß für den U-Bahnbau statt; und 1975, zehn Jahre später, konnte die erste U-Bahnstrecke zwischen dem Hauptbahnhof und Oberricklingen eingeweiht werden. Seitdem ist ein verzweigtes Tunnelnetz für die ÜSTRA entstanden, um den Innenstadtverkehr zu entlasten. Mit großen Maulwurfmaschinen wühlte man sich durch Hannovers Unterwelt. In Richtung Westen enden die Tunnelstrecken allerdings vor der Überquerung der Ihme, nämlich vor der Benno-Ohnesorg-Brücke in Linden-Mitte und vor der Legionsbrücke in Linden-Süd. Der Stadtbahnverkehr nach Linden-Nord über die Leinertbrücke verläuft ohnehin außerhalb des Tunnelsystems.
Dafür entstand in jenen Jahren in Linden ein anderer, nicht ganz so langer Tunnel, von dessen Existenz allerdings die meisten seiner Einwohner nichts wissen, obwohl viele ihn täglich überqueren.Das Heizkraftwerk Linden wurde 1961/62 erbaut, ursprünglich ohne die hohen Schornsteine.
[Foto 2012: Horst Bohne]
Für den Volksmund in Linden (und auch in Hannover) sind „die drei warmen Brüder" eine stehende Redewendung. Die drei 125 Meter hohen Schornsteine des Heizkraftwerks am Rande des Küchengartens, genauer gesagt zwischen dem Ihmeufer und der Elisenstraße, sind weithin sichtbar. Die dort erzeugte Kraft bringt Strom, warmes Wasser und ein kuschelig warmes Zuhause. Zur Erzeugung dieser Energie wurde anfangs Steinkohle eingesetzt. Günstiger Weise lagen die alten Gleise der Güterbahn zum Küchengarten noch. Sie waren ursprünglich 1870 als Zweigstrecke vom Bahnhof Fischerhof um den Lindener Berg herum verlegt worden. Mit dem Bau des Lindener Hafens, der 1917 in Betrieb ging, war auch nach dorthin ein Gleisanschluss gebaut worden.
Der Gleisanschluss zum Küchengarten - im Bild die Brücke Nieschlagstraße - ist bis auf Weiteres außer Betrieb.
[Foto 2009: Michael Jürging]
Nun verläuft die alte Bahnstrecke zwischen Rampenstraße und Fössestraße aber nur bis zum Rand des Küchengartens, während das Heizkraftwerk ein paar hundert Meter weiter an der Ihme liegt, die wiederum für große Kohlentransportschiffe nicht befahrbar ist. Die Kohlen mussten also vom Ende des Schienenstrangs noch weiter über die Fössestraße, Limmerstraße und Elisenstraße bis zum Heizkraftwerk transportiert werden.
Was also tun? Die Limmerstraße neben all dem Straßenverkehr auch noch mit Kohlentransporten belasten? Es geht doch viel eleganter! Man baute einen großen Kohleumschlagbunker an der Fössestraße (der heute noch bewundert werden kann, den aber kaum jemand wahrnimmt), von dort einen zickzackförmigen Tunnel vor den Häusern der Fössestraße entlang und unter der Limmerstraße und Elisenstraße hindurch bis in das Heizkraftwerk hinein.
Kohleumschlagbunker an der Fössestraße
[Foto 2011: Horst Bohne]
Die Kohlen wurden mit Güterzügen der DB bis zum Lindener Hafen befördert und dort auf dem Hafengelände zwischengelagert. Anschließend wurde auf Spezialwaggons der Stadtwerke Hannover umgeladen und das „schwarze Gold" auf der alten Bahnstrecke unter der Brücke an der Nieschlagstraße hindurch bis zum Kohlebunker an der Fössestraße weitertransportiert. Die Spezialwaggons konnten nach unten geöffnet werden, so dass die Kohlen direkt auf ein Förderband im Tunnel geschüttet wurden. Auf einem kombinierten Laufbandsystem wurden sie nun direkt bis zum Heizkraftwerk befördert.
Der Bekohlungstunnel, auch Bekohlungskanal genannt, im Jahre 1960 vor dem Einbau der Förderbänder
[Quelle: Heizkraftwerk Linden]
Um den aus 30 cm dickem Beton gegossenen Tunnel nicht unter den Wohnhäusern hindurch verlegen zu müssen, führte man ihn bereichsweise unter der Trasse eines ehemaligen Anschlussgleises entlang, das früher den Güterbahnhof Küchengarten mit der Baumwollspinnerei und -weberei sowie einer Asphaltfabrik am Ihmeufer verbunden hatte. Die Strecke verläuft im heutigen Fußwegbereich neben und zwischen den Häusern hindurch. An der Limmerstraße gab es vor dem Tunnelbau noch einen überdachten Wandelgang zwischen dem Wohnblock Limmerstraße Nr. 2-4 und dem „Kaufhaus Küchengarten". Diese Arkaden wurden seinerzeit von der Polsterei W. Hoffmann (Limmerstraße Nr. 2c) genutzt, um hauptsächlich Sofas und bezogene Stühle regengeschützt auszustellen. Die Überdachung musste dann für den Tunnelbau im August 1960 abgerissen werden.
Der Bahnhof Küchengarten auf einem Stadtplan von 1901. Der nördlich benachbarte Abschnitt der Fössestraße hieß damals Königinstraße. Die umliegenden Fabriken waren über verschiedene Anschlussgleise erreichbar. Eines davon (siehe rote Linie) führte zur Baumwollspinnerei und -weberei (im Plan kurz: Spinnerei) und zu einer Asphaltfabrik an der Ihme.
Der Verlauf des 1960 gebauten Bekohlungstunnels vom Kohlebunker (Kb) zum Heizkraftwerk (Hkw) ist hier zusätzlich in Blau eingetragen. Man beachte, dass die Linienführung des Tunnels bereichsweise der Trasse des früheren Anschlussgleises folgt.
[Quelle: Sammlung Walther Engel/Dietmar Franke; Bearbeitung: Michael Jürging]
28 Jahre lang, bis 1990, wurden durch den Tunnel ständig Kohlen befördert, bis dann der Betrieb des Kraftwerks auf Erdgas umstellt wurde. Bis dahin passierten 5 Mio. Tonnen(!) Steinkohle den Tunnel. Der letzte Transport erfolgte am 14. Juni 1990. Seitdem liegt der Tunnel ungenutzt an Ort und Stelle.
Aber immerhin: Auch Linden hat seinen Tunnel!
Quellen
halloLinden, Bericht 15-06
Hannover Chronik, von Klaus Mlynek und Waldemar R. Röhrbein, Hannover 1991
[Eingestellt am 23.03.2013; zuletzt geändert am 25.03.2013]