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Süß und salzig - die Fösse
von Dirk Schmidt (Arbeitsgemeinschaft Limnologie und Gewässerschutz e.V.)
mit Ergänzungen von Horst Bohne
Jede Lindenerin und jeder Lindener kennt die Fösse, Lindens „Hausbach". Der Name hat sich unter anderem im Fössebad, der Fössestraße und der Schule am Fössefeld verewigt. Dabei gehört die Fösse nicht den Lindenern allein, sondern sie fließt auch durch andere hannoversche Stadtteile. Folgen wir einmal dem Bach von seiner Quelle bis zur Mündung in die Leine.
Der Bachlauf
Die Fösse hat keine Quelle im eigentlichen Sinne. Ihr Beginn liegt außerhalb des Stadtgebietes von Hannover im Velberholz, genauer gesagt im Flurstück 'Dornholz' zwischen den Orten Velber und Harenberg.Das Quellgebiet der Fösse liegt im Velberholz. Der Bach verläuft vor den hohen Bäumen in der Bildmitte.
[Foto 2010: Michael Jürging]
Dort werden mehrere kleine Gräben aus Sickerwasser gespeist, die sich unter dem Namen Fösse zu einem Bachlauf vereinigen. Dieser fließt in südöstlicher Richtung auf die Stadt Hannover zu, biegt an der Stadtgrenze in östlicher Richtung ab und strömt zwischen den Stadtteilen Badenstedt und Davenstedt hindurch. Hier ist die Fösse in eine öffentliche Grünzone mit benachbarten Kleingärten eingebettet, die zum Spazierengehen einladen und eine grüne Verbindung zum Benther Berg herstellen.
In Linden-Mitte durchquert der Bach ein Industrie- und Gewerbegebiet, verschwindet dann in einer Verrohrung ("Düker") unter dem Lindener Hafen und wird erst wieder unterhalb der Straße 'Am Lindener Hafen' sichtbar.Die Fösse wird in einer Rohrleitung, einem sogenannten Düker unter dem Lindener Hafenbecken hindurch geführt.
[Foto 2010: Michael Jürging]
In einem Artikel für die "Illustrierte Rundschau" vom 9. August 1913 berichtet der Autor E. Schönewolff, dass beim Bau des Lindener Hafens ursprünglich geplant war, "der Fösse den Garaus zu machen". Wohin das Wasser des Baches abgeleitet werden sollte, wird in dem Artikel nicht erwähnt. Die Kanalbaudirektion war schlussendlich aber doch bereit, die Fösse mit einem Düker unter dem Hafenbecken hindurch zu leiten, "um der Bevölkerung die so bequem gelegene Badeanstalt" - nämlich das Fössebad - "zu erhalten".
In ihrem Unterlauf fließt die Fösse nochmals durch eine Kleingartenlandschaft mit öffentlichen Grünanlagen, vorbei am schon erwähnten Fössebad, wo sie nun die Grenze zwischen Limmer und Linden-Nord bildet. Schließlich mündet sie etwa 300 Meter oberhalb des Herrenhäuser Wehres linksseitig in die Leine.
Auf den letzten 350 Metern fließt die Fösse in einem alten Mäander der Leine. Der Fluss war um 1917 vor dem Herrenhäuser Wehr begradigt worden, um eine schiffbare Verbindung zwischen der Ihme und dem Lindener Zweigkanal herzustellen. Der alte Leinebogen, in den die Fösse einmündete, blieb zunächst vollständig erhalten. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sein östlicher Teil zugeschüttet. Der westliche Abschnitt wurde verschmälert und bildet seitdem den Mündungslauf der Fösse.
Die Erblast der Kaliindustrie
Die Fösse ist der einzige Bach in Hannover mit „Meerwasser". Ihr Wasser hat eher Gemeinsamkeiten mit der Nordsee als mit dem Maschsee. Grund dafür ist der frühere Kalibergbau, der am südwestlichen Stadtrand von Hannover betrieben wurde. Seine „Wahrzeichen" sind die weithin sichtbaren Abraumhalden in Empelde und Ronnenberg. Letztere ist mittlerweile zum größten Teil abgetragen worden.
In Höhe des Sportplatzes an der Lenther Chaussee mündet der sogenannte Salzgraben von rechts in die Fösse. Über ihn wurden jahrzehntelang die salzhaltigen Oberflächenwässer eingeleitet, die bei Regenfällen aus den Kalihalden ausgewaschen werden - und die Fösse zum Salzwasser machen. Im Jahre 2008 wurde die Einleitungsstelle durch den Bau einer Rohrleitung ein Stück weiter bachabwärts verlegt. Das Grundproblem der salzigen Haldenabwässer ist damit aber nicht beseitigt.Zwischen der Schörlingstraße und der Güterumgehungsbahn unterquert die Fösse einen Fuß- und Radweg.
[Foto 2010: Michael Jürging]
Untersuchungsergebnisse der ALG
Die Arbeitsgemeinschaft Limnologie und Gewässerschutz e.V. (ALG), ein in Hannover ansässiger Verein, führt seit vielen Jahren jeweils an vier Untersuchungsstellen an der Fösse Gütekartierungen durch:
- An der Feldwegbrücke in der Nähe der Stadtgrenze, südwestlich von Davenstedt (oberhalb der Salzeinleitung)
- An der Fußgängerbrücke in Verlängerung der Straße 'Im Born' (etwa 400 Meter unterhalb der Salzeinleitung)
- Kurz unterhalb der Woermannstraße
- Kurz oberhalb der Wunstorfer Straße, etwa 500 Meter vor der Einmündung in die Leine
Auch Ende Oktober 2009 hat die ALG Chloridmessungen - mit Ausnahme der Messstelle 4 - vorgenommen, um die aktuelle Salzbelastung zu dokumentieren. Die Ergebnisse sind zusammen mit älteren Daten, die bis 1987 zurückreichen, in der folgenden Grafik dargestellt.
Zur Erläuterung: Aus Platzgründen sind die genauen Werte nur für die Untersuchungsstellen 1 und 2 angegeben. Die Skala ist logarithmisch aufgebaut, da die geringen Werte oberhalb der Salzeinleitung sonst nicht darstellbar wären.Chloridgehalte der Fösse an vier Messstellen im Zeitraum 1987 bis 2009
[Grafik: Dirk Schmidt]
Ein Vergleich der Messwerte aus dem Zeitraum 1987 bis 2009 zeigt, dass die Chloridgehalte unterhalb des Salzgrabens stark schwanken können (siehe Untersuchungsstellen 2 bis 4). Der niedrigste Wert, der an der Untersuchungsstelle 2, also etwa 400 Meter unterhalb der Salzeinleitungen gemessen wurde, betrug 2.875 mg/l (Dezember 2001). Der höchste Wert lag dagegen bei 91.500 mg/l (September 1989). Diese Schwankungen sind durch unterschiedlich hohe Salzmengen in den Haldenabwässern und durch unterschiedliche Wassermengen in der Fösse, d.h. durch Verdünnungseffekte zu erklären.
Es gibt auch eine natürliche Salzquelle
Eine weitere Salzquelle befindet sich etwa 50 Meter oberhalb der Woermannstraße. Hier tritt aus einem Rohr salzhaltiges Grundwasser an die Oberfläche und fließt direkt in die Fösse. Die Chloridwerte dieses Wassers liegen seit vielen Jahren konstant zwischen 6.500 und 8.000 mg/l. Damit ist das Grundwasser meistens deutlich weniger salzig als die Fösse, in die es fließt. Diese Salzquelle würde aber vermutlich schon alleine ausreichen, um die Fösse auf einer längeren Teilstrecke für die meisten Tier- und Pflanzenarten des Süßwassers unbewohnbar zu machen. Am 31. Oktober 2009 wurden in der Salzquelle 7.400 mg/l Chlorid bei einer Leitfähigkeit von 20.400 µS/cm gemessen.
Salziger als die NordseeGemeiner Queller (Salicornia europaea), eine typische Salzpflanze, am Fössufer
[Foto 2010: Michael Jürging]Um die Messwerte einordnen zu können, sei auf die biologischen Schwellenwerte für die Süßwasserfauna hingewiesen, oberhalb derer Schädigungen dieser Organismen eintreten. Für Fische gelten Chloridwerte über 2.000 mg/l als unverträglich. Die heimischen Flohkrebse, die eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Fischarten darstellen, sind bereits bei dauerhaften Chloridwerten über 500 mg/l nicht mehr lebensfähig.
Interessant ist auch ein Vergleich mit dem Chloridgehalt der Nordsee. Dieser liegt bei rund 19.000 mg/l. Bei der bisher höchsten Chloridkonzentration von 91.500 mg/l, die in der Fösse gemessen wurde, war diese folglich 4,8 mal salziger als die Nordsee!
Als Folge der hohen Chloridwerte ist die Fösse auf dem größten Teil ihrer Fließstrecke biologisch verödet. Außer einigen Algen sind unterhalb der Salzeinleitung keine lebenden Organismen zu finden.
Statt dessen haben sich im Laufe der Zeit salztolerante Pflanzen an Stellen angesiedelt, wo die Bachufer nicht mit Beton oder Holzfaschinen befestigt sind. Diese Arten prägen sonst die Salzwiesen an der Nordseeküste und sind im Binnenland sehr selten anzutreffen.Die Strand- oder auch Salz-Aster (Aster tripolium) blüht im August.
[Foto 2010: Michael Jürging]
Die Fösse ist nicht überall so salzig
Oberhalb der Salzeinleitung (Untersuchungsstelle 1) liegen die gemessenen Chloridwerte weit unterhalb des Schwellenwertes für Flohkrebse von 500 mg/l. Im Mittel beträgt der Chloridgehalt hier zwischen 100 und 200 mg/l. Bei den Messungen im Oktober 2009 wurden sogar nur 50 mg/l gemessen. Hier ist die Fösse also noch ein „Süßwasser". Und entsprechend sind hier auch neben Stichlingen und Grasfrosch-Kaulquappen zahlreiche wirbellose Tiere zu finden.
Folgende Sußwasserorganismen wurden im Oberlauf über die Untersuchungsjahre regelmäßig angetroffen:
Ordnung | Tierart | wissenschaftlicher Name |
Strudelwürmer | Trauerstrudelwurm | Dugesia lugubris |
Wenigborster | Schlammröhrenwurm | Tubifex spec. |
Egel | Zweiäugiger Plattegel | Helobdella stagnalis |
Wasserschnecken |
Langfühlerige Schnauzenschnecke Eiförmige Schlammschnecke Flache Tellerschnecke |
Bithynia tentaculata Radix ovata Planorbis planorbis |
Krebstiere |
Gemeiner Flohkrebs Wasserassel |
Gammarus pulex Asellus aquaticus |
"Wasserwanzen" |
Wasserläufer Wasserskorpion |
Gerris spec. Nepa cinerea |
Der nicht salzbelastete Oberlauf der Fösse ist nach der Skala zur Bewertung der Gewässergüte als "kritisch belastet" einzustufen. Das entspricht der Güteklasse II-III.Frisch renaturierter Abschnitt der Fösse zwischen Davenstedt und Badenstedt mit Blick stromaufwärts. Vorne links mündet der Salzgraben ein.
[Foto 2008: Horst Bohne]
Auf dem Weg zu mehr Naturnähe
Ein gewandeltes Umweltbewußtsein und die Anstrengungen von Stadt und Region Hannover haben dazu geführt, dass das Bachtal der Fösse heute überwiegend zu einem beliebten Naherholungsgebiet für Spaziergänger, Wanderer und Radfahrer geworden ist. Das früher einmal kanalisierte Bachbett ist in den Grünzonen zwischen Badenstedt und Davenstedt sowie zwischen dem Fössebad und der Mündung in die Leine in mehrjähriger Arbeit wieder renaturiert worden.Grünzone mit Fösselauf im Vordergrund vor der Kulisse des Hochhauses am Davenstedter Markt
[Foto 2010: Michael Jürging]
Nach der Stilllegung des Kalibergwerkes 'Hansa' in Empelde, das von1894 bis 1984 in Betrieb war, gab es erfolgreiche Bemühungen in Zusammenarbeit mit der Leibniz-Universität Hannover, die riesige Abraumhalde - den im Volksmunde so genannten "Kalimandscharo" - mit Bauschutt und Mutterboden abzudecken und zu begrünen. Das Experiment gelang, und man hat sogar einen Weinberg mit 99 Rebstöcken anlegen können; ab 100 Rebstöcken hätte es es sich um einen gewerblichen Anbau gehandelt, bei dem besondere Auflagen einzuhalten sind. Inzwischen wurden eine ganze Reihe verschiedener Pflanzenarten auf der abgedeckten Halde angesiedelt.
Trotzdem gibt es am Fuß des Kaliberges noch stark salzhaltige Sickerwasserabflüsse, die gezielt erfasst und in die Fösse eingeleitet werden müssen.
Woher stammt das Salz im Untergrund?
Im Bereich des Norddeutschen Tieflandes entstanden die heutigen Salzlagerstätten vor über 250 Millionen Jahren im sogenannten Germanischen Becken. Dieses Flachmeer hatte zeitweise keine Verbindung zum übrigen Meer. Bei dem damals herrschenden tropenähnlichen Klima bewirkte die starke Verdunstung in diesem relativ flachen Meeresbecken, dass das Wasser mit verschiedenen Lösungen übersättigt war. Letztere wurden daraufhin als chemische Sedimente ausgefällt.
Diese Ausfällungsgesteine, auch Evaporite genannt, beinhalten Kalke, Dolomite, Sulfate (Gips, Anhydrit), Chloride (Steinsalz, Kalisalz) und Eisensedimente. Die chemische Ausfällung der wässrigen Lösungen erfolgt in einer bestimmten Reihenfolge in Abhängigkeit von der Löslichkeit der Minerale. So wurden z. B. die Kalke und Dolomite, die aus der Gruppe der Evaporite am schwersten löslich sind, zuerst ausgefällt. Die Chloride (Salze), die am leichtesten löslich sind, wurden dagegen als Letztes ausgefällt. So lagerten sich im Flachmeer nach und nach unterschiedliche Gesteinsschichten übereinander ab.
Im Kaliflöz Ronnenberg zeigt sich folgende Gesteinsabfolge (von unten nach oben): Grauer Salzton (2 - 8 Meter mächtig), Plattendolomit (25 Meter mächtig), Hauptanhydrit (30 - 60 Meter mächtig) und Leine-Steinsalz (200 Meter mächtig). Insgesamt entstand in dem einstigen Flachmeer an der Stelle, an der heute die Stadt Ronnenberg liegt, eine etwa 260 bis 290 Meter mächtige Serie von „Salzgesteinen".
Andere Gesteinsschichten lagerten sich in den nachfolgenden Jahrmillionen darüber ab. Unter dem hohen Druck wurden die Evaporite vor etwa 80 Millionen Jahren in Form von Salzstöcken an die Erdoberfläche gepresst, so dass die ursprüngliche Lagerung der Schichten verändert wurde. Die Anhydrite, die dadurch in die Nähe der Erdoberfläche gelangt waren, wandelten sich durch den Kontakt mit dem Grundwasser in Gipse um. Deshalb wird die Decke des Salzstocks von einem „Gipshut" gebildet.Kanalisierter Abschnitt der Fösse im Industriegebiet am Lindener Hafen. Die Gewässerufer wurden in der Vergangenheit häufig so wie hier mit Bongossi, einem besonders verwitterungsbeständigen Tropenholz befestigt.
[Foto 2008: Horst Bohne]
Bei der Förderung der Kalisalze gelangten so nicht nur andere Salze, sondern auch Gips und Anhydrit (Sulfate) aus den Bergwerksstollen auf die Abraumhalden, die dann ebenso wie die Salze vom Regen abgespült werden und über den Salzgraben in die Fösse gelangen. Neben den hohen Salzkonzentrationen werden daher auch extrem hohe Werte der Gesamthärte in der Fösse gemessen.
Die Gesamthärte beschreibt alle im Wasser gelösten Erdalkalimetallsalze. Zum ersten Mal fielen die hohen Gesamthärtewerte bei den Gütekartierungen der ALG im Jahre 1987 auf, als der Parameter „Gesamthärte" neu in das Untersuchungsprogramm aufgenommen worden war. Am 27. Juli 1987 hatte das Fössewasser eine Gesamthärte von 953 °d (Deutscher Härtegrad). Der höchste bisher in der Fösse gemessene Gesamthärtewert betrug sogar 2.145 °d! Er wurde am 21. September 1989 kurz unterhalb der Einmündung des Salzgrabens an der Untersuchungsstelle 2 ermittelt. Zum Vergleich: Nach dem europäischen Standard gilt Wasser mit mehr als 14 °d bereits als „hart".
Weitere Informationen über die Arbeitsgemeinschaft Limnologie und Gewässerschutz e.V. (ALG) können beim Vorsitzenden Dirk Schmidt eingeholt werden unter:
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- Die Fösse, , Hannover (vom Velberholz bis zur Leine)