Inhaltsbereich der Seite
Nach dem Krieg war immer Theater
von Horst Deuker
Horst Deuker hat sich schon in seiner Jugend für das Theater begeistert.
[Foto: Privatbesitz Horst Deuker]Am 8. Mai 1945 endeten mit der Kapitulation Deutschlands das nationalsozialistische Regime und der zweite Weltkrieg - Stunde null. Nur die Älteren können sich noch daran erinnern, in welch einem katastrophalen Zustand sich Hannover damals befand. Ganze Stadtbezirke lagen in Schutt und Asche, Wohnungen, Fabriken und Theater waren zerbombt. Von den 1.600 Fachwerkhäusern der Altstadt waren gerade einmal 32 erhalten geblieben. Der Grad der Zerstörung betrug insgesamt 48%. Damit stand Hannover laut Statistik an siebter Stelle unter den 16 deutschen Großstädten. Die britische Militärregierung und die sich mühsam formierende Verwaltung haben ernsthaft darüber nachgedacht, Hannover an einer anderen Stelle wieder aufzubauen.
Natürlich war Linden mit seinen kriegswichtigen Industriebetrieben ein besonderes Ziel der alliierten Luftangriffe gewesen. Firmen wie Hanomag, Vereinigte Leichtmetall, Excelsior und Körting waren nicht mehr funktionsfähig. Viele Geschäfte und Industrieanlagen hatten Bombentreffer erhalten, die Schaufenster waren ohne Glasscheiben und leer, vernagelt mit Brettern oder Pappe. Wer dachte in diesem Chaos überhaupt ans Theaterspielen? Hatten wir nicht alle ganz andere Sorgen? Aber wie so oft in der Geschichte, auch Geist und Gemüt meldeten sich wieder, getreu dem Schiller-Wort „Und neues Leben blüht aus den Ruinen".
Obschon hier hauptsächlich die Theatersituation in Linden beschrieben werden soll, kann doch die Gesamtsituation in Hannover nicht ganz ausgespart bleiben. Man bedenke, dass wir damals im Alltag ständig an unüberwindlich scheinende Grenzen stießen. Es fehlte an allem. Und für die Genehmigung selbst einfachster Vorhaben waren wir auf die britische Militärregierung angewiesen. Materialien für die Instandsetzung eines Theaters, Strom, Bestuhlung, Kostüme, Bühnenbilder und dergleichen fehlten überall. Schauspieler waren in alle Winde zerstreut oder in alliierter Kriegsgefangenschaft.
Dazu gab es Sperrzeiten und Ausgehverbote, angeordnet von der britischen Militärregierung für die Nachtstunden von 23 Uhr bis 5 Uhr morgens. Für die Zivilbevölkerung war ein Bewegungsradius von 30 Kilometern festgesetzt, der nicht verlassen werden durfte. Auch das Versammlungsrecht war stark eingeschränkt. Es durften sich nicht mehr als zehn Personen an einem Ort aufhalten.
Die Sperrstunden wurden erst im Oktober 1946 aufgehoben. Stromsperren waren bis 1947 an der Tagesordnung. All das waren Hindernisse, die es zu überwinden galt.
Der Schwarzmarkt blühte überall in Stadt und Land. Es gab kaum etwas, was man dort nicht hätte kaufen können, allerdings zu entsprechend hohen Preisen. Die Zigarettenwährung lag etwa bei 6 Reichsmark pro Stück.
Aber es gab auch die ersten Versuche, das kulturelle Leben wieder in Gang zu bringen. Man war geradezu hungrig auf Kultur, und selbst die britische Militärregierung sah die Notwendigkeit: „Das Volk braucht Vergnügen!"
Noch in den Wirren der letzten Kriegsmonate, im März 1945, hatte es ein Theater-Ehepaar nach Hannover verschlagen: Wladimir und Herma Kadik. Wie die 'Hannoversche Allgemeine Zeitung' (HAZ) in einer Retrospektive vom 8. Januar 1996 berichtet, fanden sie zunächst eine Wohnung in der Hindenburgstrasse, die aber kurz vor Kriegsende noch im Bombenhagel beschädigt wurde. Trotz allem führten die Kadiks ein offenes Haus, auch mit Kontakten zu englischen Offizieren, die als Besatzungssoldaten gelegentlich im Austausch mit der Zivilbevölkerung standen. Man suchte ein geeignetes, noch brauchbares Bühnenlokal und fand im Kinosaal des Capitol am Schwarzen Bären einen neuen Anfang. Dort stellte man unter größten Schwierigkeiten ein internationales Programm zusammen, das sehr schnell große Resonanz fand.
Im Capitol-Hochhaus am Schwarzen Bären - hier auf einer Vorkriegspostkarte aus dem Jahr 1936 - fanden bereits zwei Monate nach Kriegsende erste Bühnenaufführungen statt.
[Quelle: Nachlass Werner Krämer]
Im Capitol entdeckte man im einstigen Kinosaal eine Spielmöglichkeit für Theater oder Varietee. So startete dann ein Gastspiel des „Continental-Express" vom 17. bis 24. Juli 1945. Auch die englischen Besatzungstruppen machten von dieser Bühne ausgiebig Gebrauch mit Darbietungen aller Art für ihre Soldaten. Zunächst waren von der britischen Militärregierung alle Kinos in Hannover geschlossen worden. Aber bald war man auch seitens der Besatzer daran interessiert, den Menschen mehr Abwechslung vom nicht sehr angenehmen Alltag zu ermöglichen.
Von den 32 Kinos in Hannover vor dem Krieg waren nur 9 übrig geblieben, alle anderen waren zerstört. Die Überprüfung der Kinobetreiber wurde mit einem Fragebogen begleitet, in dem fünfzig Fragen über die eigene Vergangenheit während des Nationalsozialismus zu beantworten waren. Die größte Schwierigkeit für Publikumsveranstaltungen war dabei die Anordnung, dass sich nur zehn Personen gemeinsam an einem Ort aufhalten durften. Gelegentlich waren auch mal deutsche Zuschauer zugelassen. So wurde das Gastspiel des Direktors Alex Guido im Capitol nachmittags um 15 Uhr für das deutsche und abends für das englische Publikum aufgeführt.
Das Victoria-Kino in der Alten Celler Heerstraße wurde beschlagnahmt und unter dem Namen Fox-Cinema-Filme für Angehörige der Besatzungstruppe freigegeben. Am 11. September 1945 wurde es auch für das deutsche Publikum geöffnet mit dem Film „Rembrandt", in der Hauptrolle: Charles Laughton.
Bereits am 24. Juli 1945 waren die ersten Kinovorführungen angelaufen. In Linden zeigte das Capitol den Film „Die Frau meiner Träume", das Apollo in der Limmerstraße „Zirkus Renz" und der Kronprinz in der Wunstorfer Straße „Bal Paré". Außerdem lief in der List im Kino Adler in der Podbielskistraße der Film „Schwedische Nachtigall" und in Herrenhausen in den Lichtspielen „Sophienlund". Die Vorstellungen waren immer ausverkauft. Am 5. Oktober 1945 wurde auch der Gloria-Palast wieder bespielt. Die Eintrittspreise lagen zwischen 8o Reichspfennigen und 2 Reichsmark.
Im Capitol soll - laut dem Bericht der HAZ vom 8. Januar 1996 - das spätere Johann Strauß-Theater als Theater an der Ihme begonnen haben. (Diese Information ließ sich bei meiner aktuellen Recherche leider nicht belegen.)
Man war dankbar für jede Abwechslung, denn im letzten Kriegsjahr musste man ohne künstlerische Darbietungen auskommen, nachdem alle Theater mit dem 1. September 1944 geschlossen worden waren.
In Hannover entdeckte man das Galeriegebäude in Herrenhausen fürs Theaterspielen, wo dann am 1. Juli 1945 das erste Sinfonie-Konzert unter der Leitung von Arno Grau für die deutsche Bevölkerung veranstaltet wurde. Zuvor hatten deutsche Kriegsgefangene das Galeriegebäude für eine Theatervorstellung der englischen Besatzungstruppen wieder einigermaßen hergerichtet. Karten gab es im Vorverkauf für 4 bis 6 Reichsmark bei der Buchhandlung Sachse & Heinzelmann, die in der Podbielskistraße 357 behelfsmäßig ein Geschäft eingerichtet hatte. Natürlich war die Veranstaltung ausverkauft.
Arno Grau präsentierte ein Programm, bei dem der beliebte hannoversche Heldentenor Rainer Minten eindrucksvoll die Arie des Florestan aus „Fidelio", Beethovens einziger Oper, sang. Auch Erna Fahrig und Dora Zschille gehörten zu den Solisten. Knapp zwei Wochen zuvor, so schreibt Dieter Tasch in seinem Buch „Hannover zwischen Null und Neubeginn", hatte bereits das Ladscheck-Quartett ein erstes Kammerkonzert für die englischen Soldaten geboten.
Dabei war zu berücksichtigen, dass immer noch das Ausgehverbot ab 23 Uhr galt und dass nach der Vorstellung zum Teil recht weite Wege nach Haus zurückgelegt werden mussten. Man spielte zu Beginn jeder Vorstellung stets die britische Nationalhymne „God save the King" (damals regierte ja noch Georg VI.).
Das Titelblatt zum Programm der ersten Opernaufführung nach dem Krieg war sehr schlicht. Die Veranstaltung fand im Galeriegebäude in Herrenhausen statt.
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker] Am 11. Juli 1945 startete dann auch das Opernhausensemble mit dem Opernbetrieb im Galeriegebäude. Es war die erste Opernaufführung nach dem Krieg in Deutschland überhaupt. Man spielte „Cavalleria rusticana" von Pietro Mascagni und „Der Bajazzo" von Ruggiero Leoncavallo. Die musikalische Leitung hatte wiederum Arno Grau. Es war ein stattliches Ensemble, das ihm zur Verfügung stand, mit Gertrud Schmidt-Gerlach, Anita Gura, Dora Zschille, Rainer Minten, Carl Hauss, Curt Huxdorf und Condi Siegmund, um nur einige Ensemblemitglieder zu nennen. Es gab nur einen einfachen Theaterzettel, der zweisprachig gedruckt war, englisch und deutsch. Und wie schon erwähnt, spielte man vor der Vorstellung die englische Nationalhymne. Im Theaterzettel wird darauf hingewiesen, dass es auch für deutsche Besucher eine „Ehrenpflicht ist, die Hymne stillstehend anzuhören". Ferner wird in englischer Sprache darauf hingewiesen, nicht zu rauchen, während der Vorstellung das Theater nicht zu verlassen und Applaus erst zu spenden, wenn die Vorstellung komplett beendet ist. Am Mittwoch, dem 14. November 1945 habe ich diese Aufführung gesehen.
Zweisprachiger Programmzettel der Opernaufführung vom 14. November 1945. Auch der Text der Fußzeile ist beachtenswert.
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Die Ensemblemitglieder sollten noch lange dem hannoverschen Theaterpublikum treu bleiben. Natürlich war auch der Bühnenbildner Kurt Söhnlein ein „Mann der ersten Stunde". Kenner der Szene behaupten, ohne ihn wäre gar nichts gelaufen. Regie führte Dr. Bruno Heyn. Die britische Militärregierung beauftragte Rainer Minten die Intendanz zu übernehmen.
Anzumerken bleibt, dass am 28. Juli 1945 Bizets Oper „Carmen" gespielt wurde mit dem Debut des Tenors Rudolf Schock.
Inzwischen hatte man auch an der Göttinger Straße, direkt über der Haupteinfahrt der Hanomag, einen großen Saal für eventuelles Theater entdeckt. Am 9. Oktober 1945 veranstaltete dort die SPD ihren ersten Reichsparteitag (so nannte man das damals noch). Es war der „Hanomag-Saal", der später in „Ernst-Winter-Saal" umbenannt wurde. Namensgeber war der Betriebsratsvorsitzende der Hanomag, Ernst Winter, der nach dem Tode von Kurt Schumacher im Jahr 1952 als dessen Nachfolger für den hannoverschen Wahlkreis in den deutschen Bundestag einzog. Der hannoversche Architekt Ernst Friedrich Brockmann baute den Hanomag-Saal 1946/47 mit 1100 Sitzplätzen - an anderer Stelle werden 750 Plätze genannt - für das Theater um.
Der Gebäudetrakt über der Haupteinfahrt zur Hanomag an der Göttinger Straße beherbergt den Ernst-Winter-Saal, vormals Hanomag-Saal. Hier startete 1946 das Johann Strauß-Theater seinen Spielbetrieb. Danach war der Saal von 1947 bis 1958 die Heimstatt des Thalia-Theaters.
[Foto 2010: Michael Jürging]
Am 22. März 1946 feierte man hier die Eröffnung des Johann Strauß-Theaters. Fritz Schohr hatte ein Ensemble zusammengestellt, das in einer Inszenierung von Franz Köchel, einem Urgestein der hannoverschen Theaterlandschaft, „Wiener Blut" von Johann Strauß einstudiert hatte.
Es war nur ein kurzes Gastspiel, denn schon am 28. November 1946 zog das Johann Strauß-Theater in den Gemeindesaal der Martinskirche an der Badenstedter Straße um. Das Haus war 1910/11 nach Plänen von W. Mackensen, einem Schüler von Conrad W. Hase, als Arbeiterinnen-Wohnheim erbaut worden. Benannt wurde es nach zwei Frauen aus alteingesessenen Lindener Familien, Gertrud Kühnemann und Marie Körting: Gertrud-Marien-Heim.
Das Johann Strauß-Theater zog im November 1946 in das Gertrud-Marien-Heim in der Badenstedter Straße Nr. 37 um.
[Foto 2007: Michael Jürging]
Theaterzettel zur Operette "Das Land des Lächelns" im Johann-Strauß-Theater vom 25. Januar 1947
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Für dem Theaterbetrieb war es ein bescheidener Anfang. Die räumliche Enge verbannte den Chor meistens auf die Empore, aber man war glücklich, endlich wieder spielen zu können. Mit großem Erfolg inszenierte man anschließend Lehars „Land des Lächelns".
Die Stadt bemühte sich schon sehr früh, auch wieder ein Operettentheater in ihre Regie zu bekommen. Hermann Stelter wurde der erste Intendant, und schon bald folgte im Mai 1947 eine weitere Einstudierung von Eduard Künneckes „Der Vetter aus Dingsda".
Die Operette war schon immer in Hannover zu Hause. Lange vor dem Krieg hatte der Zauberkünstler Hermann Mehl ein Spezialitäten-Theater in der Artilleriestraße eröffnet. Im Jahre 1889 baute er in nur sieben Monaten das Mellini, dessen Bezeichnung aus seinem Namen abgeleitet war. Dort wurden zirzensische Artistik, Ballett, Varietee, Kleinkunst und natürlich Operetten geboten. Wo heute in der Kurt-Schumacher-Straße die Hannoversche Volksbank residiert, feierte das Mellini-Theater mit der Operette die größten Erfolge. Von 1939 bis 1941 gehörte die großartige Soubrette Brigitte Mira dem Mellini-Ensemble an, auch Franz Köchel feierte hier erste Bühnenerfolge.
Ab 1933 war das Mellini-Theater ein Teil des „Kraft durch Freude"-Programms der Nationalsozialisten. Später übernahm Anton Lölgen das Haus als reine Operettenbühne. Das Gebäude wurde 1943 durch Bomben völlig zerstört.
Das Mellini-Theater in der Artilleriestraße war eine bekannte hannoversche Operettenbühne. Das Gebäude aus dem Jahr 1889 wurde 1943 durch Fliegerbomben zerstört.
[Quelle: Historisches Museum Hannover]
Auch in der Schauburg in der Hildesheimer Straße wurden anfangs Operetten gespielt. Aber es gab ja weitere Initiativen von Kulturarbeit, die wir hier nicht unterschlagen wollen.
So schreibt die Hannoversche Presse (HP) am 30. Juni 1946 über die Premiere der Kleinen Bühne mit Gerhart Hauptmanns „Hanneles Himmelfahrt" in der Minister-Becker-Hochschule (Pädagogische Hochschule); die Kritiken waren katastrophal! An gleicher Stelle wurde übrigens die Volksbühne wieder ins Leben gerufen, die bereits 1933 gegründet worden war.
Auch Jürgen von Alten gründete im Oktober 1945 nach seiner Entnazifizierung ein Theater und spielte in der Vorhalle der Stadthalle Boulevardstücke wie „Der Mustergatte" oder „Der wahre Jakob". Bald wurde das Theater verlegt und man bezog nach gründlichen Aufräumungsarbeiten die Kellerräume des ehemaligen Mellini-Theaters unter dem Namen Kammerspiele.
Im sogenannten 'Katholischen Bahnhof' in der Konkordiastraße Nr. 14A - hier auf einer frühen Postkarte von 1906 - gründete Hans-Günther von Klöden kurz nach dem zweiten Weltkrieg seine Schauspielschule.
[Quelle: Sammlung Jürgen Wessel]
Vorher hatte Hans-Günther von Klöden in den Sälen in der Lindener Konkordiastraße 14 A - im Volksmund „Katholischer Bahnhof" genannt - schon eine Schauspielschule gegründet. Sie fand alsbald ein neues Zuhause im Edelhof in Ricklingen. Die Schule, bei der namhafte spätere Schauspielstars in der Ausbildung waren wie zum Beispiel Klaus Kammer, Helmut Lange, Werner Mensching, Herbert Bötticher und Reinhold Rüdiger, bespielte auch die Bühne der Kammerspiele in der Kurt-Schumacher-Straße mit.
Des Weiteren trat die Landesbühne mit einem Spielplan in Erscheinung, zunächst im Gemeindesaal der Gartenkirche in der Dietrichstraße. Schon am 14. Dezember 1945 hatte sie Klabunds „Kreidekreis" vor 270 Zuschauer aufgeführt.
Theaterzettel zu "Emil und die Detektive", einer Aufführung der Landesbühne vom Februar 1947
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Aus dem Februar 1947 erinnere ich mich an eine Aufführung von Erich Kästners „Emil und die Detektive" mit einer sehr interessanten Besetzung. In der Titelrolle als Emil: Werner Mensching, als Pony Hütchen: Irene Koss, die erste Fernsehansagerin des deutschen Fernsehens, und als Gustav mit der Hupe: Hardy Krüger. Auf dem Programmzettel finden wir auch den späteren Kritiker Claus Harms als Bankvorsteher sowie Theo Pöppinghaus, den Ehemann von Agnes Brüning - sie war die Direktorin des Thalia-Theaters, von dem später noch die Rede sein wird. Gerd Schulte schrieb in der HP vom 27. Februar 1947 eine lobende Kritik unter dem Titel „Wiedersehen mit Emil". Der Anfang seines Artikels lautet: „Später einmal, wenn sie groß und erwachsen sind, werden diese Jungen sagen: Wisst Ihr noch, damals, als wir in der Landesbühne ‚Emil und die Detektive' spielten? Leute, das war eine Sache! .... Die großen und kleinen Besucher waren begeistert. Der Rundfunk übertrug einige Szenen, und der [niedersächsische Kultus-]Minister Grimme sagte den Jungens, was wir ihnen auch sagen möchten, dass sie ihre Sache famos gemacht haben." Recht hatte er!
Kurzfristig gab es auch ein Operettenensemble in Hannover, das mit Kollos „Toller Komtess" sehr bald wieder verschwunden war. Wo und wann, ist mir leider verschlossen geblieben.
Eine weitere Spielstätte hatte sich in Linden-Nord in der Schwanenburg etabliert. Nachdem ein Direktor Seidel mit dem Neuen Burgtheater in Misburg schon einen Versuch gestartet hatte, der als gescheitert anzusehen war, versuchte er es in den oberen Räumen der Schwanenburg an der Wunstorfer Straße nochmals mit einer Theater-Neugründung. Mit dem Einakter von Curt Götz „Das Märchen" eröffnete er am 20. Juli 1946 seinen Versuch. Der Redakteur -gst- schrieb in der HP vom 23. Juli 1946 eine vernichtende Kritik: „Das Eröffnungsprogramm des neuen Theaters in der Schwanenburg ist von solcher Art, dass wir auf eine Kritik verzichten wollen. Bunte kabarettistische Darbietungen wie Arien und Duette aus Carmen, Tosca und Zarewitsch sowie Tänzen nach Musik von Delibes, Brahms und Tschaikowsky waren in das Theaterstück eingebettet ..." Auch ein zweiter Versuch scheiterte kläglich, und Seidel gab zum 7. Oktober 1946 endgültig auf.
Die 'Schwanenburg' mit ihrem Gartencafé und den großen Veranstaltungsräumen hatte Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit.
Von Juli 1946 bis Februar 1949 wurde hier mit wechselndem Erfolg auch Theater gespielt.
[Quelle: Sammlung Jürgen Wessel]
Aber damit war das Schicksal dieser Bühne noch nicht abgehakt. Werner Hiemann bat den hannoverschen Magistrat in einem Brief um die Theater-Konzession für eine Komödie. Nach gründlichen Umbauarbeiten bekam Hiemann die Erlaubnis. Mit der Komödie „Der Herr mit den grauen Schläfen" startete das Unternehmen und war dann sehr erfolgreich. Star dieses Ensembles war der bei den hannoverschen Damen sehr beliebte Schauspieler Hubert Endlein. Am 29. Dezember 1946 war dann Premiere mit Shakespeares „Wie es Euch gefällt". Laut einer Meldung des städtischen Presseamtes kamen im Jahr 1947 insgesamt 110.000 Besucher zu den 447 Aufführungen in die Komödie. Aber die Auswirkungen der Währungsreform im Juni 1948 setzten auch diesem Theater am 21. Februar 1949 ein Ende.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich fast alle Theatervorstellungen - insbesondere des Thalia- und des Johann Strauß-Theaters - selbst gesehen und die jeweiligen Theaterprogramme gesammelt habe. Zur Ausarbeitung dieser Dokumentation habe ich mir meine Programme aus dem Theatermuseum zurückgeholt, die ich dort schon zum Archivieren abgegeben hatte. Gleiches gilt von Szenenfotos aus einigen Thalia-Inszenierungen.
Zu berichten wäre noch, dass am 8. September 1946 im Johann Strauß-Theater in der Badenstedter Straße ein Gastspiel im Rahmen einer Deutschlandtournee stattfand. „Das abgesagte Bilderbuch!" hieß das Programm. Darin trat erstmalig Heinz Erhardt in Hannover auf, der später durch das deutsche Fernsehen als Komiker Berühmtheit erlangen sollte. In dem Gastspiel hatte er - sehr passend - die Rolle eines Kabarettisten inne.
Auch im Hanomag-Saal in Linden-Süd hatte sich unterdessen etwas getan. Am 8. Dezember 1946 wurde die Thalia-Theater GmbH gegründet. Der Name Thalia - sie ist ja eine der neun Musen und zuständig für das Lustspiel - war in Hannover nicht ganz unbekannt. Schon 1851 taucht der Name hier zum ersten Mal auf. Der „Thalia-Verein" organisierte Theateraufführungen für seine Mitglieder und war anfangs im Ballhof zu finden, später zog man in das Steinbergsche Haus in die Marktstraße 51. Einen größeren Umbau durch Justus Molthan im Jahre 1852 folgte später, 1879, durch Otto Götze eine weitere Veränderung, nämlich der Ausbau eines Saals zum Thalia-Theater. 1880 verkaufte der Verein die Spielstätte an einen Unternehmer Heßler, der - nach einem erneuten Umbau - noch im selben Jahr unter dem Namen Residenz-Theater wieder eröffnete.
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]" data-size="117" data-width="413" data-height="298" src="http://www.lebensraum-linden.de/static/static/bilder/content/neu/icon_zoom_16.gif" alt="Bild vergrößern" class="bild_zoom nolisicon-zoom" />Der Theaterzettel zum Singspiel "Das Dreimädelhaus" vom März 1947 weist das Thalia als "Deutsch-Englisches Theater" aus.
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker] Doch zurück nach Linden zur neu gegründeten Thalia-Theater GmbH von 1946. Direktorin war Agnes Brüning. Sie kam aus Hamburg und begann nun eine sehr interessante Theatergruppe aufzubauen. Übrigens wohnte sie mit ihrem Mann Theo Pöppinghaus laut den Hannoverschen Adressbüchern noch bis 1954 in der Petristraße 1 in Linden-Süd. Bereits am 2. Februar 1947, nur zwei Monate nach der GmbH-Gründung, begannen die Probearbeiten für das Singspiel „Das Dreimädelhaus" in der Bearbeitung von Berté und mit der Musik von Franz Schubert. Und schon einen Monat später, am 1. März 1947, war Premiere, die sehr gute Resonanz fand. Uschi Hoffmann, Willy Wissiak, Lilly Krayer von Wackerbarth und Rolf Schendel waren die ersten herausragenden Kräfte. Auf dem Theaterzettel firmierte die Thalia-Theater GmbH als „Deutsch-Englisches Theater".
Am 16. April 1947 begann man mit den Vorbereitungen zur nächsten Inszenierung, einem Lustspiel von Willi Kollo mit dem Titel „Besuch am Abend". Am 1. Mai war Premiere. Darüber hinaus wurde das Stück als „Visit at Night" auch für die Besatzungssoldaten in englischer Sprache gespielt. Das Thalia wurde damit seinem Anspruch als "Deutsch-Englisches Theater" gerecht.
Die Hauptdarsteller Uschi Hoffmann und Rolf Schendel 1947 in dem Lustspiel "Besuch am Abend"
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Rolf Schendel, eine der tragenden Schauspielkräfte des Thalia-Theaters, in einer späteren Aufführung aus dem Jahr 1959
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Zwischen den eigenen Aufführungen gab es immer wieder Gastspiele von namhaften deutschen und auch englischen Bühnen. So gastierte nach einer Absage der Berliner Staatsoper das Staatstheater Kassel mit Verdis „Aida" für die englischen und französischen Truppen. Am 30. Mai 1948 kam der Komponist Eduard Künneke zu einer Matineé und dirigiert eigene Kompositionen, bei denen auch seine Tochter Evelyn zum ersten Mal mit ihrem Vater zusammen auftrat. Sie sang „Heut' ist Opernball bei Kroll", ein Couplet aus „Die lockende Flamme", mit großem Erfolg.
Programmheft zur Matineè des Komponisten Eduard Künneke vom 30. Mai 1948 im Thalia-Theater
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Im Mai 1949 führte die Londoner Gate Theater Company den Klassiker „Hamlet" in englischer Sprache auf.
Am 1.September 1950 gastierte die Revue "Alles für's Herz" unter der Regie von Artur Kaps im Thalia-Theater. Das Programmheft war mit einem kleinen Reklamesiegel des Pelzgeschäfts Ringelhan verplombt.
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Des Weiteren gastierten das Deutsche Theater München mit „Im weißen Röss'l" und eine europäische Revue mit dem Titel „Alles fürs Herz" unter der Regie von Artur Kaps aus Barcelona.
Jetzt begann also eine Hoch-Zeit der Operette in Hannover. Nicht nur das Thalia-Theater, auch das Johann Strauß-Theater brachte nunmehr eine Inszenierung nach der anderen heraus.
Im Thalia-Theater gaben Regisseure wie Peter Stanchina, Harald Paulsen, Jürgen von Alten, Otto Daue, Dr. Hanspeter Rieschel, Paul Hellmuth Schüssler und andere die Regiearbeit weiter. Hans-Günter Fessel, Johannes Schade, Hermann Lamprecht und Gerhard Bönicke standen im Laufe der Jahre am Musikpult. Und Phillip Blessing entwarf immer ein anerkanntes und begeisterndes Bühnenbild.
Im Johann Strauß-Theater begann die Zeit der Regiearbeit mit Franz Köchel, ohne den die hannoversche Theaterszene undenkbar wäre. Kurt Söhnlein war für das Bühnenbild verantwortlich und begeisterte die Theaterwelt mit immer neuen Ideen. Zu den Sängerinnen und Sängern komme ich bei den einzelnen Darbietungen zurück.
Immer wieder gab es lobende Kritik. So schrieb Gerd Schulte in der HP vom 3. Oktober 1947 zu der Aufführung der „Lustigen Witwe" im Thalia: „Eine Inszenierung auf einem Niveau, das es auch in den besten Friedenszeiten nicht gegeben hat." Zu dieser wirklich herausragenden Einstudierung kam auch Peter Stanchina am 10. Juli 1947 nach Hannover. Sein Ruf als erfolgreicher Regisseur eilte ihm voraus. Er war ein hervorragender Theatermann, mit Erfahrungen im Filmgeschäft, diversen Opern und Schauspielinszenierungen. Peter Stanchina, Jahrgang 1899, stammte aus Dresden. Verheiratet war er mit Gefion Helmke, die auch hier in Hannover in der Landesbühne ein kurzes Gastspiel gegeben hat.
Programmfaltblatt zur Operette "Die Lustige Witwe" vom 20. Oktober 1947
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Hans-Günter Fessel, aus Frankfurt kommend, hatte die musikalische Leitung der „Lustigen Witwe", Phillip Blessing aus Stuttgart zauberte ein fast revueartiges Bühnenbild, Hildegard Reichel entwarf als Gast die Kostüme und Karl-Heinz Otto war ein Danilo mit Heesters-Qualitäten. (Später, in den 1970/80er Jahren, finden wir ihn als Karel Otto noch in einigen Klimbim-Fernsehdarbietungen.) Elvira Wiedemayer und auch Lilly Krayer von Wackerbarth sangen die Titelrolle. Später taucht Elfriede Schock, die Schwester des Startenors Rudolf Schock, in den Theaterprogrammen auf. Weitere weibliche Hauptrollen besetzten Lilli Lederer, Uschi Hoffmann und Lisel Kuhn. Bei den Herren waren neben Karl-Heinz Otto noch Peter Drath als Njegus sowie Theo Seemann, Gert Reiner und Fritz Wenzel an dem großen Erfolg beteiligt.
Premiere war am 27. September 1947. Dieser Erfolg ist um so bemerkenswerter, weil das Thalia-Theater keinerlei finanzielle Subventionen von der Stadt Hannover erhielt, im Gegensatz zum Johann Strauß-Theater als Städtische Bühne. Am 14. März 1948 spielte man Lehars „Lustige Witwe" bereits zum 200. Male!
Bühneszene aus der "Lustigen Witwe" von 1947 mit Elvira Wiedemayer in der Titelrolle, Karl-Heinz Otto als Graf Danilo und dem Chor des Thalia-Theaters
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Von links nach rechts: Lilly Lederer, Karl-Heinz Otto, Elvira Wiedemayer, Peter Drath (unten) und Theo Seemann
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Das gesamte Ensemble am Schluss einer Aufführung der "Lustigen Witwe"
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Im Johann Strauß-Theater hatte inzwischen Gerd Bönicke die musikalische Leitung übernommen und es folgten nun laufend neue Inszenierungen. Der „Vetter aus Dingsda" erschien zum Beispiel im Programm. Im Januar 1948 kam der „Zarewitsch" von Franz Lehar heraus.
Programmfaltblatt zur Operette "Die Blume von Hawai" im Thalia-Theater vom 17. März 1948
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Und im Thalia probte man Paul Abrahams „Blume von Hawai", das am 18. März 1948 Premiere hatte und wieder hervorragende Kritiken erhielt. Kein geringerer als der bekannte Schauspieler Harald Paulsen hatte hier die Regie übernommen; jener Harald Paulsen, der, in Elmshorn geboren, sich bis zum Deutschen Theater in Berlin herauf spielte. Schon 1919 hatte ihn Max Reinhardt dorthin geholt. Er war der erste Mäckie Messer aus Brechts „Dreigroschenoper" (Musik: Kurt Weill), die 1928 unter der Regie von Erich Engel eine Theatergeschichte schreibende Uraufführung im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin war. Das Stück wurde ein Welterfolg, der sich jedoch erst später einstellte. Die Hauptdarsteller wie Lotte Lenya (Kurt Weills Frau), Kurt Gerron, Erich Ponto, Kati Kühl, Ernst Busch und natürlich Harald Paulsen waren das Beste, was die deutsche Bühne zu bieten hatte.
Darsteller der "Blume von Hawai" waren u.a. Gerd Reiner (oben links), Lilly Krayer von Wackerbarth (oben rechts), Peter Drath (unten links) und Fritz Wenzel (unten rechts).
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Im Juni 1948, genauer: am 20. Juni trat ein Ereignis ein, das mit einem Schlage nicht nur die Theaterszene, nein, sondern auch unser tägliches Leben völlig verändern sollte: Die Währungsreform!
Bis zu diesem Zeitpunkt, also in den Jahren 1946 bis Mitte 1948, gab es in den hannoverschen Theatern eine Platzauslastung von 95%. Bis dato waren wir mit der Reichsmark ja noch ziemlich großzügig umgegangen. Das wurde jetzt anders. Plötzlich waren die Schaufenster prall gefüllt mit Waren und Angeboten, von denen man bisher nur zu träumen gewagt hatte. Mit den ersten 40 Deutschen Mark, die am 20. Juni 1948 zugeteilt worden waren - einen Monat später kamen nochmals 20 DM dazu - wurden verständlicherweise zunächst die wichtigsten Dinge des täglichen Lebens erworben. Die Kunst musste da erst einmal hinten anstehen.
Die Theaterkassen klingelten jetzt nicht mehr so reichlich wie zuvor. Die Platzbelegung nahm nach der Währungsreform auf nur noch 28% ab. Viele Theater haben diese Krise nicht überstanden. Es dauerte noch etwas, aber die Not an den Bühnen war spürbar. Die Folge war auch, dass ständig mit neuen Bühnenstücken versucht wurde, die Gunst des Publikums zurückzugewinnen.
Der Alu-Palast inmitten von notdürftig beiseite geräumten Kriegstrümmern im Jahr 1947
[Quelle: Historisches Museum Hannover]
Programmheft des Alu-Palastes für den Januar 1949
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Bevor wir wieder in den Reigen der neuen Operetten-Inszenierungen in Hannover einsteigen, ist noch nachzutragen, dass am 20. August 1947 eine weitere Theaterspielstätte ihre Pforten geöffnet hatte, nämlich der Alu-Palast am Aegidientorplatz. Mit seinen 1.300 Sitzplätzen stand er neben dem - heute nach wie vor aktiven - Theater am Aegi. Bis 1943 hatte sich an gleicher Stelle das UFA-Lichtspieltheater befunden. Der Varietee-Unternehmer Alex Guidos hatte den Alu-Palast aus Leichtmetall und in transportabler Bauweise innerhalb kurzer Zeit errichten lassen; übrigens jener Alex Guidos, der 1945 im Capitol die erste Varietee-Vorstellung nach dem Krieg zusammengestellt hatte. Leider musste der Alu-Palast schon 1949 wegen baupolizeilicher Mängel wieder abgebaut werden. Er wurde daraufhin nach Hamburg verfrachtet und dort ein zweites Mal errichtet.
Auch der Wiederaufbau des hannoverschen Opernhauses war inzwischen in Angriff genommen worden. Dazu schreibt Dieter Tasch in dem schon erwähnten Buch „Hannover zwischen Null und Neubeginn", "... dass der Oberbürgermeister Bratke aufrief, Bausteine für den Wiederaufbau des Opernhauses zu kaufen. Der hannoversche Journalist Karl-Heinz Löhr überraschte die zögernde Verwaltung mit der Inszenierung einer Tombola, die er mit der Volksbühne veranstaltete. Sie wurde ein großer Erfolg, so dass die Stadt von Januar bis Mai 1950 eine zweite hinterher schickte. Es wurden 1.300.000 Lose verkauft. 23 Städte der Bundesrepublik schickten Beobachter zu dem Szenenablauf."
Programmzettel des Johann Strauß-Theaters aus der Spielzeit 1947/48
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Zurück zu unseren Operettentheatern! Leider dauerte die Spielzeit für das Johann Strauß-Theater nicht mehr lange. Am 30. Juli 1948 lief der Pachtvertrag mit dem Gertrud-Marien-Heim aus. Trotzdem gab es zunächst noch weitere Aufführungen. Der „Fidele Bauer", eine Operette von Leo Fall, hatte im November 1948 Premiere; und anschließend erschien auch noch das „Schwarzwaldmädel" von Leon Jessel im Programm, bis sich dann am 31. März 1949 die Pforten für immer schlossen.
Das Operettenprogramm übernahm ab Juli 1949 mit Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" die hannoversche Oper, vorerst in der Absicht, eine Operette pro Jahr einzustudieren.
Im Thalia ging das Wirken noch ein wenig weiter. Im Juni 1948 gab es ein Gastspiel der Berliner Philharmoniker, im August inszenierte Peter Stachina eine Operettte mit dem Titel „Walzerrausch". Es handelt sich um ein Stück Lebensgeschichte von Johann Strauß Vater und Sohn, natürlich mit vielen Strauß-Melodien. Dann kam Emmerich Kalmanns „Csardasfürstin", ebenfalls unter Stanchinas Regie, auf die Thalia-Bühne. Am 31. Oktober 1948 war Premiere. Die musikalische Leitung lag nunmehr in den Händen von Hermann Lamprecht. Franz Köchel war neues Mitglied des Thalia-Ensembles.
Rudi Schuricke im Capitol-Programmheft
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Im selben Zeitraum haben wir auch im Capitol am Schwarzen Bären interessante Gastspiele erlebt, zum Teil in Spätvorstellungen um 23 Uhr. Mimi Thoma ("Eine Stimme, die jeder kennt") und Will Höhne ("Bekannt durch seine Sendungen"), zwei Bühnenstars der damaligen Zeit, waren dabei sowie Rudi Schuricke, damals so etwas wie ein Superstar, der bereits im Oktober 1947 das Publikum begeisterte. Am 25. Dezember 1948 gastierte Lale Andersen und am 20. Januar 1949 war die unverwüstliche Cläre Waldoff im Capitol auf der Spätbühne.
Am 2. Februar 1949 hatte dann „Maske in Blau" mit der Musik von Fred Raymond Premiere, und Elfriede Schock sang die Partie der Plantagenbesitzerin Evelyne Valera. Regie führte wieder Peter Stanchina, der sich diesmal Horst Schuppien a.G. ans Dirigentenpult geholt hatte.
Auszug aus dem Thalia-Programmheft zur Operette "Maske in Blau" vom 2. Februar 1949. Werbeanzeigen der Sponsoren füllen etwa die Hälfte der Seiten.
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Vor der nächsten Inszenierung von "Liebe in der Lerchengasse" kam es am 18. April 1949 zu einem Gastspiel im Hanomag-Saal mit dem damals sehr bekannten und beliebten Komiker Carl Napp.
Auszug aus dem Gastprogramm des Komikers Carl Napp vom 18. April 1949
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Programmheft zur Operette "Liebe in der Lerchengasse" vom 23. April 1949
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Die Operette „Liebe in der Lerchengasse" mit der Musik von Arno Vetterlin, die Silvester 1936 in Magdebrg Premiere hatte, gehört vielleicht zu den nicht so oft gespielten Stücken der Operettengeschichte. Aber dafür kam Jürgen von Alten auf den Regiestuhl! Jeder Theaterfreund - nicht nur in Hannover - kennt Jürgen von Alten. Als Urgestein der Theaterszene war er zusammen mit Hans-Günther von Klöden Leiter und Lehrer der hannoverschen Schauspielschule. Er wurde 1903 in Hannover geboren und stammte aus jenem alten Adelsgeschlecht derer von Alten. Schon 1931 ging er nach Berlin zum Film, wurde 1936 Direktor des Berliner Schillertheaters, führte zu vielen UFA-Filmen Regie und schrieb noch viel mehr Drehbücher zu über zwanzig Filmen. Am 22. April 1949 war Generalprobe zu „Liebe in der Lerchengasse", und ich erinnere mich, dass für eine bestimmte Szene eine Ziehharmonika fehlte. Es gab einen Riesenkrach! Jürgen von Alten wollte alles hinschmeißen und die für den nächsten Tag angesetzte Premiere sollte abgesagt werden. Es kam dann aber doch zu besagter Premiere, wo dann auch das zuvor fehlende Instrument einsatzbereit war.
Im Veranstaltungskalender kamen anschließend ein paar Gastspiele auf die Thalia-Bühne - zum Beispiel am 11. Mai 1949, wie schon erwähnt, das Londoner Gate-Theater Ensembles mit Shakespeares „Hamlet". Am 15. August 1949 gastierte die brasilianische Doorley-Revue. Am 3. August 1949 erschien die Schauspielerin Käthe Dorsch mit Helmut Rudolph und dem Bühnenstück „Theater" zu einem Gastspiel mit eigenem Programm, des Weiteren am 8. September 1949 Olga und Ada Tschechowa mit der Komödie „Schauspielereien".
Im Thalia gab es die letzte Stanchina-Einstudierung mit Lehars „Graf von Luxemburg", und schon im nächsten Monat Zellers „Vogelhändler". Gerhard Bönicke hatte für diese Einstudierung die musikalische Leitung übernommen. Wenig später tauchte er sogar als Direktor des Thalia-Theaters auf.
Programmheft zur Operette "Im weißen Röß'l" im Thalia-Theater, hier aus der Spielzeit 1951/52
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]Im November 1949 stand „Im weißen Röss'l" (Ralph Benatzky) auf dem Spielplan. Es war ein Gastspiel des Deutschen Theaters in München.
Auch 1950 ging es im Monatstakt weiter. Am 4. Februar gab es „Clivia" von Nico Dostal, am 3. März war Premiere von Lehars „Land des Lächeln". Wenn man sich die Besetzungsliste einmal genauer ansieht, finden wir einige Darsteller des alten Johann Strauß-Theaters jetzt im Thalia-Ensemble wieder, Namen wie Senta Nicol, Herti Pioch, Helmut Friedensburg, Charly Dühlmeyer und Franz Köchel. Am 16. Juni 1950 ging es weiter mit der Premiere von „Saison in Salzburg" (Fred Raymond) und gegen Ende des Jahres, am 3. Dezember 1950, folgte noch der „Zarewitsch", wiederum von Franz Lehar.
1951 fiel die Anzahl der Produktionen etwas verhaltener aus. Irgendwann war die Operette „Rose von Stambul" mit Musik von Leo Fall im Programm, die ich aber zeitlich nicht mehr recht einordnen kann. „Die lustige Witwe" und „Csardasfürstin" tauchten als Neueinstudierungen auf. Hier haben Linden und Hannover auch einen neuen Komödianten erlebt, den sie sehr bald in ihr Herz schlossen: Theo Pracher. Als Njegus knüpfte er nahtlos an die Beliebtheit eines Peter Drath an, der ja in der Stanchina-Inzenierung von der „Lustigen Witwe" wahre Triumphe gefeiert hatte. Neu auf dem Spielplan waren auch Millöckers „Bettelstudent" und „Hochzeitsnacht im Paradies" mit der Musik von Friedrich Schröder.
Jedoch: In der Theaterszene war eine große Anspannung zu spüren. Überall gab es Abstriche und Einschränkungen.
Am zweiten Weihnachtstag 1954 stand noch einmal „Maske in Blau", die Operette von Heinz Hentschke, auf dem Spielplan. Die Hamburger Volksoper gastierte mit Paul Linckes „Frau Luna". In einer kleinen Nebenrolle stand ein Name, dem bald alle zujubeln würden. Es war Henry Vahl aus dem Hamburger Ohnsorg-Theater.
Aufwändig gestaltetes Titelblatt des Programmheftes zur Operette "Frau Luna", einem Gastspiel der Hamburger Volksoper im Thalia-Theater
[Quelle: Privatsammlung Horst Deuker]
Schließlich schreiben wir das Jahr 1958. Am 3. September musste das Thalia-Theater Konkurs anmelden. Man dachte zunächst, nun sei alles vorbei. Aber der unermüdliche Gerhard Bönicke übernahm das Thalia in Eigenregie und führte es letztlich noch bis ins Jahr 1973 weiter.
Am 13. September 1958 wechselte die Spielstätte von der Göttinger Straße in das Theater am Aegi, wo neben Gastspielen auch andere Veranstaltungen ihr Publikum fanden. In der Spielzeit 1962/63 gelangten einige Wiedereinstudierungen aus früheren Jahren auf die Bühne, nunmehr auch mit neuen Sängerinnen und Sängern. Nur Alfons Eckwerth und Theo Pracher finden wir aus den Besetzungslisten des alten Thalia wieder.
Gerhard Bönicke schwang neben seiner Direktorenrolle bei den Einstudierungen auch den Taktstock. Hier nur eine kleine Auswahl der neuen Bühnenwerke: „Graf von Luxemburg" von Franz Lehar, "Gasparone" von Carl Millöcker, Künneckes „Glückliche Reise" und der „Vetter aus Dingsda", Kollos „Drei alte Schachteln", aber auch nicht so oft gespielte Operetten wie „Polenblut", „Der liebe Augustin", „Frasquita", „Feuerwerk" und noch ein paar weitere. Der Betrieb lief also weiter, wenn auch mit einigen Pausen und Einschränkungen. Am 30. Dezember 1964 erzwang jedoch der große Brand im Zuschauerraum des Theater am Aegi eine Pause von drei Jahren.
Mit dem 31. Juli 1973 was dann definitiv Schluss mit dem Thalia-Theater. Gerhard Bönicke wechselte ans Opernhaus, um hier der Operette noch einmal neue Impulse zu geben. Auch der beliebte Operettenbuffo Theo Pracher fand ein neues Betätigungsfeld an der Landesbühne.
Damit möchte ich meine Theatererinnerungen vorerst schließen, denn mit dem Ende des Thalia-Theaters ist mein chronistisches Anliegen erfüllt. Es war eine sehr erlebnisreiche Zeit, die mich auch privat sehr stark geprägt hat. Angeregt zu diesen Aufzeichnungen wurde ich eigentlich in so manchem Gespräch mit interessierten Leuten, die einfach erstaunt waren, dass es in Hannover einmal ein Theater namens Thalia gegeben hat. Das wollte ich ein wenig aus dem Vergessen zurückholen.
Viele dieser Erinnerungen haben sich auch privat, neben der Theaterszene im engeren Sinne, abgespielt. Aus der Theaterkantine, die auch von Nichtmitgliedern der Spielstätte besucht werden konnte, gäbe es manches zu erzählen. Der Wirt hieß Floris van Imhoff, war Holländer und stammte aus einer sehr bekannten Amsterdamer Adelsfamilie. Er selbst hat mir einmal erzählt, dass ein Onkel von ihm einst auf dem alten deutschen 50-Markschein zu sehen war. Floris war vor dem Krieg selbst ein bekannter Künstler, denn er und seine Partnerin Helen gehörten als Tanzpaar der Spitzenklasse zur europäischen Kulturszene. Mit seiner späteren Partnerin Ira betrieb er die Thalia-Kantine. Ira war einmal Schlangentänzerin gewesen, und eine große Boa constrictor war noch in einer mächtigen alten Truhe im Kantinenraum zu bewundern. Später, nach dem Aus des Theaters, haben sie zusammen eine Gaststätte im Sonnenweg in der hannoverschen Südstadt bewirtschaftet. Dort konnte man übrigens auch Floris' außergewöhnlich schöne Sammlung von Delfter Porzellan bewundern.
[Eingestellt am 29.06.2010; zuletzt geändert am 13.08.2010]
Gebäude, Institutionen, sonstige Einrichtungen
- Nach dem Krieg war immer Theater, Göttinger Straße 14, 30449 Hannover (ehem. Thalia-Theater über dem Hanomag-Eingang)