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Rudi opfert seinen Familiennamen für eine Schweinerei
von Horst Deuker
Ihr kennt ja alle die Geschichte vom Wettlauf zwischen Hase und Igel in der Buxtehuder Heide. Wilhelm Schröder hat sie geschrieben, und 1840 stand sie im 'Hannoverschen Volksblatt'. Diese Geschichte wollte ich jetzt nicht vortragen, sondern nur aus der Einleitung zitieren, denn da heißt es: „Disse Geschichte is lögenhaft zu vertellen, Jungens, aber wahr is se doch …“ Und der Großvater, der die Geschichte erzählt, sagt weiter: „Wahr mutt se doch sien, anners kunn man se jo nich vertellen.“
So geht es auch mit meiner Geschichte, einer wahren Geschichte, selbst wenn sie sich noch so amüsant oder gar skurril anhört. Zweifellos werden Stilistiker und Linguistiker das Kauderwelsch zwischen Hochdeutsch und Platt nicht für gut befinden, aber ich meine, dass dieser Sprachmischmasch das Ganze nicht so trocken macht, sondern so, als wenn ich Euch die Geschichte erzählen täte. Also, nichts für ungut!
Wir schreiben das Jahr, ich weiß es gar nicht mehr so genau, aber es wird 1968 oder '69 gewesen sein. Meine „Blumenpflücker“ – das waren Floristen und Blumengeschäftsinhaber, die sich besonders gut verstanden – waren alle in einem Verband organisiert und taten allerhand gute Dinge. So feierten sie einmal im Jahr in der Stadthalle von Hannover einen großen Ball mit über tausend Gästen und vielen, vielen Blumen, wie man das ja auch erwarten darf. Und mit ganz dollen „Stars“, wie sie damals gerade in den Top-Charts standen. So kamen Heidi Brühl, Howard Carpendale, Costa Cordalis, Rex Gildo, Karel Gott, Peter Kraus, Wencke Myrrhe, Ingrid Peters, Bill Ramsey, Dunja Reiter und Ireen Sheer, um nur mal die wichtigsten, fein alphabetisch geordnet, zu nennen. Und einmal im Jahr machten wir auch zusammen einen Ausflug, irgendwo in der Nähe in unserem schönen Hannoverland. Von so einem Ausflug möchte ich nun erzählen.
Wieder mal weiß ich gar nicht ganz genau, wann es war und wo es hinging, aber das ist auch nicht so wichtig. Wir, also besonders mein Freund – nennen wir ihn Horst W. – hatte die Idee, eine Rallye zu organisieren. Es wurde eine schweißtreibende, lustige Fahrt, die am Ende einen Sieger hatte – wir nennen ihn Horst D. mit seiner Frau Heide.
Bevor aber zur Siegerehrung geschritten wurde, hatten wir noch ein Fußballspiel angesetzt, „Jung-Blumenpflücker“ gegen „Senioren-Blumenpflücker“. Es wurde z. T. richtig gekämpft. Ich wunderte mich nur, dass alle Augenblicke ein Senior zu Boden sank und den Verletzten spielte. „Watt is denn hier im Jange“, dachte sich Horst D., der ooch mitspielte, un hei sah, das use Annemarie – det war die Frau vom Horst-groß-W-Punkt, die Behandlung vornahm. Der „Verletzte“ bekam erst mal een Heidelikör zur Stärkung, ja und dann merkte man erst den Eifer, welchen die Verletzten annen Dag legten. Annemarie präsentierte sich nämlich in eenen Kleed, gut gefüllt bis obenhin, also einen Ausschnitt für 24 Personen, wie sei sick to den Speelern bückte, so dat de gar nicht wedder weiterspeelen wollten.
Schiedsrichter war übrigens Edith-groß-L-Punkt, die de ollen Blumenpflückers total verpfiffen herre – kloar, weil ihre Dochter bei den Jung-Rabauken metspeelen deit. Also, de Senioren harren verloorn.
Nun gab es also noch die Siegerehrung zur Auto-Rallye. Fangen wir mal hinnen an:
3. Preis: Gewinner war Gerold W. mit siener Frau Helma. Sie bekamen einen lebenden Hahn. Det war een Otto: bald fünfzig Zentimeter hoch, man konnte fast drauf reiten. Dieser Hahn kam nun vielleicht 'ne Woche später zum Bruder von Gerold W. nach Bissendorf, oder wenigstens da inner Gegend, denn inner Südstadt bei Groß-W-Punkt kunn hei ja nich bleiben. Dort in Bissendorf mischte nun der olle Gockel den ganz Heuhnerhoff auf, also Schluß damit und geschlachtet. Au, au, der olle Höhnertreter was so zäh, man musste ihn vorsorglich entsorgen.
Platz 2 errang Friedhelm G. He was een Blomenpflücker-Großhändler, sien Preis war een Rammler, der wohl sechzig oder siebzig Zentimeter lang war, also so‘n richt‘ges Kaninchen für zwanzig Personen. Da hören wir doch nach acht Tagen, dass man bei Groß-G-Punkt freudig die Geburt von sechs oder sieben kleenen Karnickeln anzeigt. Nen komischer Rammler!
Nun kam Horst D. mit seiner Frau Heide an die Reihe. Platz 1: Ein lebendes Ferkel!! Zur Siegerehrung alle feierlich angetreten, bloß det Ferkel war erstmal nicht da. Aus einer Holzkiste, die man sonst für den Transport von Irish Moos aus Finnland gebrauchte, war das kleine Schweinchen ausgebüxt, und nun rannte die ganze Meute hinter dem Ferkel her, um es wieder einzufangen. Nach een halven Stund harre man det Viehzeug gepackt – Tusch! – und alles war vorbi. Also wieder rin inne Kiste und heimwärts.
Im Caravan hinten war Platz, und Schorse R., der mit seiner Frau Ingrid mitgefahren war, hatte alle Hände voll zu tun, um erstmal den Deckel drauf zu halten. Schon da bekam unser Ferkel seinen Namen: Wir tauften ihn „Dutschke“. Rudi Dutschke war nämlich der große Rebellenführer der „68er“, die uns damals alle in Atem hielten.
Zuerst ging‘s in die List, zum Kleingarten von Heides Vadder Bernhard. Nun hatte man ja wohl schon mal gehört, dat Swine ooch een „Herzinfarkt“ kriegen können, aber selbst erlebt hatte man es noch nicht. Da lag nun „Dutschke“ auf dem grünen Rasen des Kleingartens von use Opa Berni und jappte nach Luft und man dachte wohl daran: Das wars also! Aber „Dutschke“ war zäh! Da dies alles auf einen Sonntag passierte, harrte man nun der Dinge, die da kommen sollten. Also kam „Dutschke“ wieder in seine Kiste, Opa Bernhard packte noch eine schwere alte Sitzbank drüber, und zur Sicherheit stellte er noch einen aus Beton gegossenen Sonnenschirmständer obendrauf, für die Nacht.
Am anderen Morgen sollte nun das weitere Procedere ablaufen – aber man wurde jäh geweckt. Das Telefon schrillte. Opa Bernhard, sonst die Ruhe selbst, stöhnte nur: „Dutschke ist ausgebrochen! Hei löppt im Garden rümme!“ Man stelle sich nur einen gepflegten Kleingarten vor, wo ein wild gewordenes Ferkel herumwühlt. Nicht auszudenken! Also nichts wie hin, den Ausreißer einfangen und der erste Weg zu Schlachter Engelhardt auf der Göttinger Straße. Die freundliche Bitte zur Schlachtung endete mit dem – ich glaube: nicht ganz aufrichtigen – Bedauern: „Schlachten darf man seit 1881nur auf dem Schlachthof.“
Also lenkte man seine Schritte nach der Bult, wo ja der Hannoversche Schlachthof seit ein paar Jahrzehnten sein Domizil hatte. Natürlich übernahm man dort sofort die nötigen Vorbereitungen: Zuerst mal Zahlen, es waren wohl so 35 DM – und „Dutschke“ verschwand in den heiligen Hallen. Noch ein kurzer Blick, aber als wir diese elektrischen Tötungswerkzeuge sahen, tat uns „Dutschke“ das erste Mal leid, und es hieß: schnell weg und warten, wie‘s weitergeht.
Das war am Montag, und am Dienstag klingelt wieder das Telefon und ein alter Freund – nennen wir ihn Klaus – meldete sich vom Schlachthof. Nanu, war was mit „Dutschke“? Nein, nein, aber er, Klaus, würde nun die Obhut von „Dutschke“ übernehmen. Er empfehle aber doch, das kleine Ferkelchen in eine Söhle zu legen, damit das Fleisch auch seine guten Eigenschaften entfalten könne. „Prima, das wird gemacht!“ – „Ja, aber das kostet mindestens einen Kasten Bier.“ – „O.k., wird auch gemacht.“
Inzwischen wurde das große Fest mit dem Kegelklub „Grober Klotz“ arrangiert. Am Sonnabend im Kleingarten bei Bernhard soll „Dutschke“ zum letzten Mal sein Unwesen treiben dürfen. Aber am Donnerstag klingelt wieder das Telefon. Unser Schlachthoffreund – wir nennen ihn immer noch Klaus: Er würde doch noch empfehlen, den guten „Dutschke“ mit einer besonderen Spritzkur aufzumöbeln, wie er sich ausdrückte. „So wollen wir‘s machen!“ Er wieder: „Ja, aber es kostet wohl – noch eine Flasche Schnaps.“ – „O.k., nichts ist uns zu teuer.“ – „Und“, sagt unser Klaus ,“Freitag muss das Schwein hier weg, denn Samstag ist zu!“ Holland in Not! Wohin mit „Dutschke“? Eifriges Suchen, und der Schlachter gegenüber übernimmt es für die eine Nacht.
Sonnabend ist nun der große Tag. „Dutschke“ kommt zum Bäcker Buchhorn auf der Göttinger Straße, und der schiebt den Guten am frühen Nachmittag in den Backofen. Was man nicht wusste: Bäcker Buchhorn verbringt den ganzen Sonnabendnachmittag damit „Dutschke“ zu begießen, mit Bier, immer wieder und wieder.
Im Kleingarten ist längst alles gerichtet. Der Tisch gedeckt, die Getränke kaltgestellt, die Gäste sind da; nur Horst W. und Annemarie, die Samariterin vom Fußballspiel, fehlen. Frau Heide fährt mit Freund Schorse zu Buchhorn, um unseren Braten zu holen, und „Dutschke“ freut sich mittlerweile richtig aufs Verzehren. Horst W. und Annemarie sind immer noch nicht da.
Schließlich biegt ein tief schwarz gekleidetes Pärchen in den Kolonieweg ein und kommt näher. Er, im schwarzen Anzug, trägt einen Trauerkranz mit Schleife; sie ist tief verschleiert. Und beim Näherkommen kann man auch den Text auf der Schleife lesen. Auf der einen Seite: „Dutschke“. Auf der anderen: „Du starbst viel zu früh.“ – Horst und Annemarie waren endlich da.
Erst dachten wir, wir bekommen keinen Bissen herunter, aber „Dutschke“ war in uns. Heite, der Kegelvater, saß mit einem Messer, stark angetrunken, vor dem Kopf von „Dutschke“ und puhlte die restlichen Fleischbrocken aus dem Schädel. Ende der Vorstellung!
Aber sagt mal: Wer waren nun Horst W., Gerold W., Schorse R. und Horst D.? Es wird nichts verraten!
[Eingestellt am 25.01.2016]