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Die Schwanenburg
von Horst Bohne
Die 'Schwanenburg' mit Konzertsälen und Kaffeegarten auf einer colorierten Postkarte von 1914
[Quelle: Sammlung Jürgen Wessel]
Nachfolgenden Generationen ist der Name "Schwanenburg" nur noch als 'Schwanenburgkreuzung' - zuvor 'Schwanenburgkreisel' - an der Straßenecke Westschnellweg/Bremer Damm geläufig. Was sich hinter dem Namen eigentlich verbirgt, sei hier einmal nach alten Berichten und Unterlagen wieder hervorgeholt.
Vor langer Zeit lag in der Nähe der späteren 'Schwanenburg' die im Jahre 1022 urkundlich erwähnte kleine Ortschaft Erder. Sie wurde 1387 im Lüneburgischen Sezessionskrieg völlig zerstört. An diese Wüstung erinnert heute noch die Erderstraße, die von der Limmerstraße nach Norden abgeht.
Das Gebiet der späteren 'Schwanenburg' diente innerhalb des damaligen Amtes Blumenau den beiden Gemeinden Limmer und Linden als gemeinsamer Hudeplatz. Es hieß damals "Unter den Weiden", woran die heutige Weidestraße erinnert. Der Amtshaushalt Blumenau hatte die Berechtigung, eine Herde Schafe über die Hude der im Amtsbezirk liegenden Gemeinden zu treiben. Aus diesem Grund wurde dem Amt bei der Lindener Gemeinheitsteilung ein Anger auf der Limmer Weide - dem späteren Schwanenburg-Garten - zugewiesen.
Dieses Gebiet erschien dem Schiffsbaumeister Johann Wilhelm Friedrich Hartje (ca. 1792 bis 1852) aus Hudemühlen wegen seiner Lage unmittelbar an der Leine zum Schiffsbau besonders geeignet. Um 1830 pachtete er deshalb den Anger für 5 Thaler jährlich. Als sich das Geschäft gut anließ, versuchte er am 1. Februar 1834 den Platz käuflich zu erwerben. Das Amt forderte jedoch die Gemeinde Limmer auf, den Anger von 1 Morgen und 6 Ruthen Größe selbst zu erwerben. Diese bot 50 Thaler, Hartje daraufhin 100 Thaler. Es wurde dann für den 11. November 1836 eine öffentliche Versteigerung angesetzt. Nach anderen Geboten zu 150, 155 und 202 Thalern erhielt Hartje am 5. Januar 1837 letztlich den Zuschlag bei einem Gebot von 205 Thalern.
So konnte er 1838 auf dem Gebiet der späteren 'Schwanenburg' an der Wunstorfer Straße Nr. 16 eine kleine Schiffswerft erbauen. Dort wurden auch die so genannten "Bremer Böcke" hergestellt. Dabei handelte es sich um kleine Frachtschiffe, die für den Warentransport zwischen Bremen und Hannover auf Weser, Aller und Leine/Ihme besonders geeignet waren. Mit solchen Schiffen wurde auch ein erheblicher Teil an Waren der Egestorffschen Unternehmen auf den Flüssen zwischen Hannover-Linden und Bremen befördert.
Nach Hartjes Tod 1852 war seine Witwe Eleonore Hartje Besitzerin des Grundstücks, dann ab 1868 Georg Christoph Adolf Hartje, ebenfalls Schiffsbaumeister. 1884 geht der Besitz an den Schwiegersohn über, den Kaufmann Johann Friedrich Andreas Geffers und dessen Ehefrau Sophie Geffers, geb. Hartje.
Nun änderten sich die Verhältnisse auf dem Grundstück erheblich: Geffers legte an der Leine einen "Lustgarten" an. Dazu ließ er das sumpfige Gebiet aufschütten und an der Fösse zwei Teiche ausheben. Vermutlich hat es sich dabei um ehemalige Tongruben gehandelt, wie sie auf alten Karten (1765) dort verzeichnet sind. Das waren die "Teufelskuhle" und die "Pottkuhle", vielleicht so genannt wegen des Abbaus von reinem Blauton für die Herstellung von Tonwaren ("Pötten"). Als der Bereich um die hannoversche Marktkirche von den Häusern, die teilweise bis direkt an die Kirche herangebaut waren, befreit wurde, um dort einen offenen Platz zu schaffen, kaufte Geffers vom Abbruch der dortigen alten Wache Veranda, Treppe und Balkon. Die ließ er als Anbau an seinem Haus wiedererrichten. Später lebte dort der Werkmeister Wilhelm Gieseler (Wunstorfer Straße Nr. 18). Geffers wohnte nebenan in dem Haus, in dem die Lagerräume waren, während das gegenüber liegende Gebäude Wunstorfer Straße Nr. 16 A - das spätere Wohngrundstück der Familie Rüdenberg - Nebenräume und Ställe enthielt.
Nach Geffers Tod verpachteten die Erben vor 1890 die Gartenanlage an den Wirt August Stein aus Hannover, der den Namen "Schwanenburg" erfand. Den restlichen Teil erhielt die 1895 gegründete Maschinenfabrik Jünke & Lapp, die später, nachdem Rüdenberg das gesamte Gelände übernommen hatte, zur Weidestraße Nr. 24 verlegt wurde. Das dortige Werksgebäude ist noch vorhanden und beherbergt heute unter anderem das limmersche 'Hammermuseum'. August Stein führte 1887 vor der 'Schwanenburg' das Restaurant 'Zum Uniongarten' in Hannover, Maschstraße Nr. 12.
Lithografie mit Motiven der 'Schwanenburg' auf einer Postkarte von 1899
[Quelle: Sammlung Jürgen Wessel]
Und nun kam ein anderer bedeutender Wechsel:
Im Jahre 1896 kaufte der Unternehmer Max Rüdenberg den gesamten Komplex. Der Bereich Wunstorfer Straße Nr. 2 bis 14 gehörte zum Schwanenburggarten (heute nur noch Wunstorfer Straße Nr. 14), die Nr. 16 zur Gaststätte 'Schwanenburg'. Max Rüdenberg baute für seine Familie noch ein komfortables Wohnhaus (Wunstorfer Straße Nr. 16 A) mit einer hübschen Gartenanlage - 2012 sind an der Mauer zum benachbarten Stichweh-Gelände noch die Überreste einer Grottenanlage mit Grillrost vorhanden - sowie 1898 im Gaststättenbereich ein zusätzliches großes Gebäude mit zwei Konzertsälen. Die Gaststätte wurde an jeweilige Betreiber verpachtet. Die wunderschöne Lage am Leineufer und die großzügigen Parkanlagen mit Kaffeegarten, Musikpavillon, Gast- und Konzertsälen entwickelten sich schnell zu einem beliebten Anziehungspunkt nicht nur für Limmeraner und Lindener, sondern für den gesamten hannoverschen Raum.
Auf dem Gelände der bisherigen Maschinenfabrik Jünke & Lapp (Wunstorfer Straße Nr. 18) ließ Rüdenberg, der zuvor in der Bettfedernfabrik seines Onkels in Wülfel gearbeitet hatte (dieses Unternehmen ging später in Konkurs), eine eigene Bettfedernfabrik unter seinem Namen errichten. Die Lage unmittelbar an der Leine war ideal für die zur Daunenreinigung nötige Wasseraufnahme und -entsorgung. Das galt auch für die benachbarte Traditionsfärberei Stichweh und für andere Betriebe wie die Bettfedernfabrik Werner & Ehlers (heute Kulturzentrum FAUST).
Im Jahr zuvor, am 4. Juli 1895, stürzte die baufällig gewordene Limmer Brücke zwischen der 'Schwanenburg' und der Steintormasch ein, wobei der Tod eines Kindes zu beklagen war. Hermann Löns nahm das zum Anlass, um im Februar 1898 folgendes Gedicht zu verfassen:
Vor Limmer stand eine Brücke,
die fiel ins Wasser hinein,
dabei ist zu Tode gekommen
ein unschuldig Kindelein.
Die Jahre kamen und gingen,
die Brücke ward nicht gebaut,
warum? Darüber ward manche
verkehrte Vermutung laut.
Man sagte, uneinig seien
die Regierung und die Stadt,
und das sei der Grund, dass die Brücke
man nicht wiedererrichtet hat.
Ihr irrt euch, liebe Leute;
der Grund ist; hört mich an:
man will die Brücke nicht bauen,
damit sie nicht einstürzen kann.
Schon früher hatte sich die hannoversche Garnison beim Lindener Rat über den schlechten Zustand der Brücke beklagt. Die Limmer Brücke bildete schließlich eine wichtige Verbindung zwischen Linden und Herrenhausen. Mal hieß sie die "weiße Brücke", mal die "rote Brücke", je nach Anstrich. Ein Segment davon war als Zugbrücke konstruiert, um die zwischen Bremen und Hannover verkehrenden Handelsschiffe mit ihren Masten passieren lassen zu können.
Das Gelände der 'Schwanenburg', von der Leine aus gesehen, auf einer colorierten Postkarte von 1913. Die Boote im Vordergrund wurden in das Bild hinein retuschiert.
[Quelle: Nachlass Ilse Popp]
Nach dem Brückeneinsturz hatte sich der 'Schwanenburg'-Wirt Hörschelmann verpflichtet, als Ersatz eine Fähre zu betreiben. Viele seiner Gäste kamen ja aus dem Bereich Herrenhausen, also vom jenseitigen Leineufer. Die wichtige Verbindung zwischen Linden und dem hannoverschen Nordwesten wurde damit zumindest für Fußgänger wiederhergestellt. Die Fähre hat bis 1913 bestanden. Dann musste ihr Betrieb für den Bau des Lindener Stichkanals (1913 bis 1917) und für die großflächige Anlage des neuen hannoverschen Leinehafens am Nordufer des Flusses vor dem Königsworther Platz eingestellt werden.
Die alte Verkehrsverbindung zwischen Linden und Herrenhausen wurde nach dem zweiten Weltkrieg durch den Bau des Westschnellweges auf genau derselben Strecke wieder erneuert: Holzbrücke - Fähre - Autoschnellweg war die chronologische Reihenfolge.
Lazarett im Konzertsaal der 'Schwanenburg' während des ersten Weltkriegs
[Quelle: Sammlung Horst Bohne]Der erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die schlimmen Nachkriegsjahre mit Inflation und Arbeitslosigkeit brachten den ehemals so florierenden Gastbetrieb zum Erliegen. Hinzu kam, dass ab 1915, also im zweiten Kriegsjahr, die beiden Konzertsäle als Schul-Reservelazarett eingerichtet und bis mindestens 1920 als solches genutzt wurden.
1925 wird als Gastwirt der 'Schwanenburg' Wilhelm Brönstrup genannt. Er übernahm später die Gaststätte 'Bremer Schiff' in der Blumenauer Straße Nr. 23, die dann im zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört wurde. 1936 wird der Restaurantbetrieb der 'Schwanenburg' laut Adressbuch von Erich Schaefer geführt.
Nicht weit von der 'Schwanenburg' entfernt existierte zur gleichen Zeit auf dem Grundstück Wunstorfer Straße Nr. 30 - die Nummern 20 bis 24 und 28 gibt es nicht - die Gaststätte Hengstmann. Sie wurde nach dem Tod von Karl Hengstmann durch Karl Seegers weitergeführt und war noch mindestens bis 1942 in Betrieb. Diese Bereiche wurden im Laufe der Jahre von der expandierenden Fa. Stichweh aufgekauft. Gleiches gilt für die nach Westen anschließenden Grundstücke bis einschließlich des 'Mühlenparks'. Das Projekt "Stichweh-Leinepark" wird weiter unten noch beschrieben.
An der Wunstorfer Straße Nr. 16 wird für die Jahre 1939, 1940, 1941 und 1942, also während des zweiten Weltkriegs, keine Gaststätte mehr im hannoverschen Adressbuch aufgeführt. Bisher ist nichts Näheres darüber bekannt, was es mit der Firma "H. (Heinrich) Sukohl & Co. Flugzeugteile" auf sich hatte, die 1939 und 1940 im Adressbuch als Eigentümerin des Grundstücks erscheint. Im April 1942 war sie dann in Berlin-Schöneberg und Luckenwalde registriert. Es hat sich jedoch nicht, wie für die Kriegsjahre vermutet werden könnte, um einen Rüstungsbetrieb gehandelt, sondern lediglich um einen Hersteller von Bastelteilen für Modellflugzeuge.
Im Zuge der sog. "Arisierung" - die Rüdenbergs waren jüdischer Abstammung - gingen 1939 die Grundstücke Wunstorfer Straße Nr. 16 und 16 A durch Zwangsverkauf an die Stadt Hannover über. Das Grundstück Wunstorfer Straße Nr. 18 mit der Bettfedernfabrik hatte durch die "Arisierung" der bisherige Betriebsleiter Karl Wiese übernommen. Er führte die Firma auch nach dem Krieg bis zu seinem Tode weiter.
Das gesamte Anwesen überstand den zweiten Weltkrieg ohne Zerstörungen. Deshalb war der Gaststättenbereich mit seinen beiden Konzertsälen einer der wenigen Plätze, an denen in der Nachkriegszeit schon frühzeitig wieder Kulturveranstaltungen stattfinden konnten. Im unteren Saal des Konzertgebäudes hatten bald - laut Adressbuch mindestens ab 1949, wahrscheinlich jedoch schon ab 1946 - die 'Schwanenburg-Lichtspiele' ihren Kinobetrieb aufgenommen. Sie wurden ebenso wie die Gaststätte 'Schwaneneburg' von Walter A. Markgraf betrieben. Markgraf war gleichzeitig auch Verwalter des Areals Wunstorfer Straße Nr. 16, wohnte jedoch selbst in der Nedderfeldstraße Nr. 17.
In der Nachkriegszeit und den 1950er Jahren betrieb Walter A. Markgraf in der 'Schwanenburg' eine Gaststätte und ein Kino.
[Quelle: Sammlung Rudolf Lotze]
In dem großen Saal etablierte sich zur gleichen Zeit die "Komödie" als Theater. Auf dem Spielprogramm stand unter anderem das Stück "Dr. med. Hiob Prätorius" von Curt Götz mit prominenten Schauspielern der hannoverschen Bühnen wie Fridel Mumme (1898 - 1983). Am 29. Dezember 1946 spielte man "Wie es euch gefällt" von Shakespeare. Nach der Währungsreform am 20. Juli 1948 mit der Umstellung von der Reichsmark auf die Deutsche Mark musste das Theater jedoch ums Überleben kämpfen. Es wurden ja erst einmal Güter des täglichen Bedarfs gekauft, die vorher nicht erhältlich gewesen waren. Und da blieb für die Kultur wenig übrig. Überall wurden die Theaterpreise gesenkt, und die Schauspieler waren sich nicht zu schade, wie Vertreter von Haus zu Haus zu gehen und ihre Theaterabonnements anzubieten.
Einen Gastronomiebetrieb wie in früheren Glanzzeiten mit dem großen Kaffeegarten und Konzerten gab es in der 'Schwanenenburg' nicht mehr, lediglich noch das Markgrafsche Bierlokal. Die ganze Lebensweise hatte sich verändert.
Der Bau des Westschnellweges Anfang der 1960er Jahre bedeutete dann das endgültige Aus für Kino, Theater und Gaststätte. Die Gebäude wurden abgerissen, um Platz für den Straßendamm mit seinen Auf- und Abfahrten zu schaffen.
Ehepaar Margarethe und Max Rüdenberg 1938
[Foto: Privatbesitz Familie Reynolds]Einen ganz anderen, dramatischen Verlauf nahm die Geschichte der auf dem Gelände der 'Schwanenburg' entstandenen Bettfedernfabrik von Max Rüdenberg. Ihrem Begründer gebührt in der Geschichte von Limmer und Linden ein besonderer Platz.
Bevor Limmer im Jahre 1909 nach Linden eingemeindet wurde, war Max Rüdenberg als Schatzmeister im Vorstand der limmerschen Warteschule in der Brunnenstraße tätig. Dort wurden Kinder betreut, während ihre Mütter beruflich tätig waren. Noch heute befindet sich an gleicher Stelle ein Kinderheim. Des Weiteren war Max Rüdenberg Bürgervorsteher in Limmer und ab 1909 dann Lindener Ratsherr. Als in der Hochphase der Industrialisierung auf dem Gelände des ehemaligen königlichen Küchengartens ein Güterbahnhof mit Gleisanschlüssen für die umliegenden Fabriken wie z. B. die Mechanische Weberei und die Lindener Aktien-Brauerei errichtet wurde, betraute man Rüdenberg mit dem Posten des Geschäftsführers der Betreibergesellschaft. Das Büro befand sich in seinem Haus in der Wunstorfer Straße Nr. 18. Dann kam 1920 die Vereinigung der bisher selbständigen Stadt Linden mit Hannover, und Max Rüdenberg wurde folgerichtig Ratsherr in Hannover.
Bereits 1916 war er maßgeblich an der Gründung der Kestnergesellschaft beteiligt gewesen. (Die Kestnergesellschaft wurde während der Nazizeit - auch wegen ihres jüdischen Geschäftsführers - stark unter Druck gesetzt und löste sich 1936 auf. An der Neugründung im Jahre 1948 war dann neben Werner Bahlsen, Günther Beindorff und Bernhard Sprengel auch Dr. Wilhelm Stichweh beteiligt). Max Rüdenberg war also Kunstliebhaber. Er bezog seine Daunen aus China und hatte eine Handelsagentur in Schanghai. Da er Vertrauen in das Kunstverständnis seines dortigen Handelsvertreters hatte, bat er ihn, bei sich bietenden Gelegenheiten chinesische Kunstobjekte wie Porzellan, Bronzen und Schnitzereien aufzukaufen und nach Deutschland zu schicken. So kam im Laufe der Jahre eine beachtliche Sammlung chinesischer Kunst zusammen. Die Verpackung in den großen Daunenballen ermöglichte auch über große Strecken einen Transport ohne Bruch. Es wurde schließlich die größte private Chinasammlung Europas. Zusätzlich ermöglichten importierte chinesische Vitrinen eine angemessene Repräsentation. Ansonsten war Max Rüdenberg honoriger Unternehmer mit etwa 60 Mitarbeitern in seiner Bettfedernfabrik.
Als während des ersten Weltkriegs eine Delegation von "gehobenen Damen" der hannoverschen Gesellschaft das Lazarett in den zur Verfügung gestellten Konzerträumen der 'Schwanenburg' besuchte, durfte Rüdenbergs Tochter Eva der Frau des Feldmarschalls von Hindenburg mit einem kleinen Blumenstrauß und einem artigen Lied aufwarten.
Kurz gesagt: Rüdenberg, eine volldeutsche, absolut national eingestellte Familie.
Doch: Die Familie Rüdenberg ist jüdisch. Und damit ergeht es ihr während des Nationalsozialismus wie vielen tausend anderen jüdischen deutschen Mitbürgern auch. Das Ehepaar Rüdenberg wurde zwar anfangs wegen seiner Reputation etwas schonender behandelt, konnte aber letztendlich der Vernichtung nicht entgehen.
Sohn Ernst gelangte mit seiner späteren (evangelischen) Ehefrau Elisabeth noch rechtzeitig über Amsterdam nach Südafrika. Tochter Eva emigrierte mit ihren drei kleinen Kindern 1939 noch kurz vor Kriegsbeginn unter schwierigen Bedingungen nach England. Evas Mann, Heinz Rheinhold, der Schwiegersohn von Max Rüdenberg und Sohn einer angesehenen Berliner Unternehmerfamilie, die auch in Hannover wirtschaftlich tätig war, wurde wegen Beziehungen zu "arischen" Mitarbeiterinnen seines Betriebes ("Rassenschande") 1937 von der Gestapo verhaftet und für fünf Jahre im Zuchthaus eingesperrt. Nach seiner Entlassung wurde er sofort zur Gestapo nach Magdeburg überstellt und von dort "in den Osten" deportiert, wo er wahrscheinlich umgebracht wurde. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört.
Auf Grund der antisemitischen Gesetze wurde im Januar 1939 über das gesamte Vermögen der Familie Rüdenberg eine "vorläufige Sicherungsanordnung" verfügt, wonach Veräußerungen nur mit Genehmigung der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten erlaubt waren. Die Firma wurde "arisiert" und ging an den bisherigen Betriebsleiter Walter Wiese über, der auch die Villa Rüdenbergs übernahm. Die enteignete Firma hieß jetzt 'E. W. Wiese Bettfedernfabrik KG'.
Max Rüdenberg war nun Rentner. Als etwas privilegiert durfte er in einem angeschlossenen Betriebsgebäude für sich und seine Frau zwei Zimmer ausbauen. Die Anlage wurde eines der 15 hannoverschen "Judenhäuser". Dort mussten in zwölf Zimmern etwa sechzig Personen dicht gedrängt leben, die vorher aus ihren hannoverschen Wohnungen vertrieben worden waren. Ab März 1942 wurde das Judenhaus offiziell als "Jüdisches Damenstift" betitelt. Mit Verfügung vom 1. Juli 1942 wurde Max Rüdenbergs gesamtes Vermögen "zugunsten des Deutschen Reiches" eingezogen.
1942 musste schließlich auch das Ehepaar Rüdenbergs den letzten Rest seines ehemaligen Domizils verlassen. Am 23. Juli 1942 wurden sie mit 24 weiteren Insassen nach Theresienstadt deportiert. Bereits zwei Monate später, am 26. September 1942, verstarb Max Rüdenberg dort an den Folgen der unmenschlichen Verhältnisse. Seine Frau Margarethe folgte ihm ein Jahr später am 29. November 1943.
Am 13. November 2008 wurden auf dem Fußsteig der Wunstorfer Straße, wo einst das Wohnhaus der Familie Rüdenberg gestanden hatte, in einer kleinen Feierstunde zwei "Stolpersteine" verlegt. An der Zeremonie nahm auch Rüdenbergs Enkel Professor Vernon Reynold (Werner Rheinhold) aus Oxford mit seiner Gattin teil. Wegen der derzeitigen Bauarbeiten wurden die Gedenksteine zwischenzeitlich wieder aufgenommen, um sie vor Beschädigung durch Baufahrzeuge zu schützen. Nach Ende der Bauarbeiten werden sie wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren.
Das Betriebsgelände mit der Villa hatte, wie bereits berichtet, im Jahre 1939 die Firma Karl Wiese KG übernommen. Das Gelände des Gaststättenbereichs wurde nach langen Verhandlungen über den Preis an die Stadt Hannover verkauft, jedoch ging der Erlös dafür an die Finanzbehörden. Nach Kriegsende 1945 lief der Betrieb der Karl Wiese KG weiter bis zum Tod des Inhabers. Anschließend zog die Firma Prietzel mit einer Möbelgroßhandlung in die Lagerräume. Auch eine Reihe von Kleinfirmen siedelte sich in den noch vorhandenen Betriebsräumen an.
Das Hochhaus Wunstorfer Straße Nr. 14 wurde von 1970 bis 2000 von der Universität Hannover genutzt.
[Foto 2009: Horst Bohne]Das Land Niedersachsen ließ 1970 auf dem Grundstück Wunstorfer Straße Nr. 14 einen Hochschultrakt für Gewerbelehrer erbauen, mit einer großzügigen Anlage einschließlich großem Parkplatz zwischen Hochhaus und ehemaligem Werksgelände. Das Umfeld bis zum Fösseufer wurde sehr freundlich mit Sitzecken und Grünanlagen gestaltet.
Im Jahr 2000 zog die Hochschule aus dem Gebäude aus. Eigentlich sollte sich dort anschließend die Kriminalpolizei einrichten, doch wurde das Projekt zugunsten eines größeren, neu zu erstellenden Objektes fallen gelassen. Das große Gebäude wird seitdem nur hin und wieder genutzt. So veranstaltet die hannoversche Polizei dort manchmal Schulungen mit Übungen für Nahkämpfe, Amokläufe an Schulen u. a. Zum Jahresende 2012 wird die Kriminalpolizei das ehemalige Hochschulgebäude an das Land Niedersachsen zurückgeben.
Im September 2012 stellte eine Initiative ihre Idee "Projekt.form 14" als Kreativzentrum vor, wonach das Hochhaus umgenutzt werden sollte mit einer Mischung aus Wohnlofts in den oberen Etagen, Studios und Ateliers, Sport- und Wellness-Bereich, Werkstätten, Kindertagespflege, Büros und Räumen für Schulungen sowie in den Nebengebäuden mit einem Veranstaltungsbereich für Bühne und Konzert.
Nachdem die Hochschule ausgezogen war, folgte aber erst einmal eine Zeit des Stillstands. Die Fabrikräume standen ebenfalls leer. Im Jahr 2008 gab es Pläne für ein "Wohn- und Geschäftshaus Wunstorfer Straße 18" der Firma Manus AG für den Bereich des großen Parkplatzes, mit Schnäppchenmarkt, Hotel, Arztpraxen und Wohnungen. Das Ingenieurbüro Heimann hatte im Februar 2008 bereits eine Verkehrsuntersuchung beim Stadtbauamt eingereicht. Das Bauprojekt scheiterte jedoch an der Finanzierung und das Gelände blieb weiterhin verwaist.
Obere Lagerhalle der leer stehenden Bettfedernfabrik im Juli 2009
[Foto: Horst Bohne]In den leer stehenden Betriebsgebäuden machte sich Vandalismus breit. Und auch die Natur holte sich das Ihre allmählich zurück.
Freigelegte Brunnenanlage im ehemaligen Privatgarten der Rüdenbergvilla im Juli 2008 vor dem Abriss
[Foto: Horst Bohne]Engagierte Limmeraner kappten das Brombeergestrüpp an der Südmauer der alten Lagerhalle und legten eine aufwändig mit großen Quadern angelegte Brunnennische aus dem alten Privatgarten der Familie Rüdenberg wieder frei. (Bei den später folgenden Abrissarbeiten wurde diese Anlage sorgfältig abgebaut und zwischengelagert. Sie soll an geeigneter Stelle wieder einen Platz auf dem Gelände finden, ist sie doch neben der alten Bettfedernlagerhalle das letzte Erinnerungsstück an die Familie Rüdenberg. Ein weiteres Relikt, Teile einer Grotte aus Natursteinen vom Garten neben der Mauer zum Stichweh-Gelände, wird durch die Anhebung des neuen Dr. Wilhelm Stichweh-Platzes auf das Niveau der Wunstorfer Straße im Erdboden verschwinden.)
Schließlich kam doch noch Bewegung in den Komplex. Die benachbarte Traditionsfirma Stichweh kaufte mit ihrer Grundstücksgesellschaft ‚Stichweh Leinepark GbR', der Dr. Hanno Ziehm und sein Vater Hans Ziehm, Urenkel des Firmengründers Friedrich August Stichweh, angehören, das Areal der ehemaligen Bettfedernfabrik und den Parkplatz des früheren Universitätsgeländes auf und präsentierte ein völlig neues Projekt. Es umfasst Teile des ehemaligen Schwanenburg-Geländes, aber auch das eigene Stichweh-Areal. Mit einem Kapitaleinsatz von 15 Millionen Euro soll in drei Bauphasen der "Stichweh-Leinepark" entstehen. Verantwortlich für Planung und Ausführung ist die Architektengemeinschaft Hübotter & Stürken. Ungewöhnlich schnell wurden die Baupläne genehmigt, ungewöhnlich schnell rückten auch die Bagger an. Anbauten verschwanden, störendes Grünzeug wurde entsorgt. Was vom alten Schwanenburg-Gelände - abgesehen vom Universitätsgebäude, dessen Schicksal weiterhin ungewiss ist - noch stehen bleibt, ist die ehemalige große Lagerhalle der damaligen Bettfedernfabrik. Die soll nun eine Gastronomie beherbergen und die alte Gaststätte ‚Schwanenburg' wieder zu neuem Leben erwecken, mit einem Café im Erdgeschoß samt Außenbewirtung sowie mit Platz in den oberen Räumen für gesellige und kulturelle Veranstaltungen.
Planung für den "Stichweh-Leinepark". Der Komplex wird eingerahmt von der Wunstorfer Straße (unten), der Färberstraße (links), dem Verbindungsweg 'Zur Schwanenburg' (rechts) und der Fösse (oben).
[Foto 2012: Horst Bohne]
Der Name "Schwanenburg" soll wieder lebendig werden. Inzwischen wurde auch der Zugangsweg von der Wunstorfer Straße zur ehemaligen ‚Schwanenburginsel' auf Wunsch des Rüdenberg-Enkels Vernon Reynold in 'Zur Schwanenburg' umbenannt.
Die erste Bauphase ist zum Teil abgeschlossen. Ein großer Komplex im Bereich des früheren Uni-Parkplatzes wurde bereits fertiggestellt und bezogen. Die Polizeiinspektion West ist im Oktober 2011 von der alten Dienststelle in der Gartenallee (Linden-Mitte) mit über 200 Mitarbeitern dorthin umgesiedelt. Es läuft ein Mietvertrag über 20 Jahre, so dass dieser Abschnitt finanziell schon einmal abgesichert ist.
Blick vom Uni-Hochhaus nach Westen auf das Gelände der ehemaligen Bettfedernfabrik; rechts dahinter die Betriebsgebäude der Firma Stichweh
[Foto vom 14. Juli 2008: Horst Bohne]
Vergleichsfoto vom September 2012: Blick auf das neue Gebäude der Polizeiinspektion West (links) und das Parkdeck; halbrechts die ehemalige Lagerhalle der Bettfedernfabrik (mit Gerüst), dahinter die Textilreinigung der Fa. Stichweh
[Foto: Horst Bohne]
Mit Bodenaufschüttungen bis auf das Niveau der Wunstorfer Straße ist ein großes Parkdeck entstanden, darunter mit seitlicher Zufahrt eine große Tiefgarage. In diesen Komplex ist auch der Fahrradladen von der Ecke an der Färberstraße umgezogen. Die Bereiche neben der Polizei an der Straße ‚Zur Schwanenburg' und zum Fössebach hin sind bereits mit Grünanlagen sehr ansprechend gestaltet. Eine asphaltierte Fläche im Rasen soll künftig zum Boccia-Spiel einladen. Vor der kleinen Fössebrücke wird ein offener Torbogen das Gastronomiegrundstück optisch von dem öffentlichen Bereich der Straße ‚Zur Schwanenburg' und der Leinehalbinsel abgrenzen.
Die ehemalige Lagerhalle der Bettfederfabrik im September 2012 während des Umbaus zum Gastronomiebetrieb
[Foto: Horst Bohne]Die umfangreiche Sanierung und Umgestaltung der alten Lagerhalle der Rüdenbergschen Bettfedernfabrik zum Gastronomiebetrieb ist noch nicht ganz abgeschlossen (Stand Herbst 2012). Aus Sicherheitsgründen wurde eine zusätzliche Außentreppe installiert. Außerdem wurden die Vorbereitungen für einen behindertengerechten Aufzug zu den oberen Etagen getroffen. An der Frontwand zur Straßenseite erscheint bereits in dezenter Form der Name "Schwanenburg". Nach vorherigen Einzelveranstaltungen soll der öffentliche Gastronomiebetrieb spätestens im Februar 2013 aufgenommen werden.
Der zweite Bauabschnitt sieht ein neues Eckgebäude an der Färberstraße vor, in dem zuvor der Fahrradladen ansässig war. Entgegen früheren Planungen wird es dort das Dialysezentrum nicht mehr geben, das ursprünglich nur innerhalb des Stichwehgeländes umziehen sollte. Es wird nun in Ahlem ein neues Domizil finden. Dafür wird jetzt in den zweiten Bauabschnitt REWE als kundenträchtiger Supermarkt einziehen. Im August 2012 stand nur noch ein kleiner Laden (200 qm) an der Straßenseite zur Wunstorfer Straße zur Vermietung frei. Das gesamte restliche viergeschossige Gebäude, also die oberen Etagen, wird von der Landesschulbehörde für Lehrer-Seminare beansprucht. Waren deren Schulungsräume bisher über das Stadtgebiet verstreut, werden sie nun zentral zusammengelegt. Sicherlich wird das auch dazu führen, dass die Semiarteilnehmer in ihren Unterrichtspausen die Schwanenburg-Gastronomie frequentieren werden, da kein eigener Küchentrakt vorgesehen ist. Seit August/September 2012 sind die Arbeiten voll im Gange. Das Eckgebäude Wunstorfer Straße/Färberstraße ist bereits abgerissen worden und wies im September 2012 eine große Baugrube für den anstehenden Neubau auf. Planziel für die Fertigstellung dieses Bauabschnitts ist der 30. Juni 2013.
Für den dritten Bauabschnitt, der in den Jahren 2013 und 2014 umgesetzt werden soll, war zunächst ein Teilabriss der rückwärtigen Stichweh-Gebäude vorgesehen, um Platz für einen Supermarkt mit einem Vollsortiment zu schaffen. Nach jetzigem Planungsstand soll stattdessen der REWE-Markt ausgeweitet werden, mit Zufahrtrampen für Lieferfahrzeuge im nördlichen Bereich. Der dortige Altbau mit der Stichweh-Gründungszahl "1853" wird aus Traditionsgründen bestehen bleiben und als Treppenhaus für den südlich anschließenden, neuen Anbau genutzt werden. Für das obere Geschoss über dem Supermarkt werden noch Nutzer gesucht. Die Gesamtfertigstellung ist derzeit bis zum 30. Juni 2014 vorgesehen.
Die ‚Schwanenburg' war einst ein Begriff für Gastronomie und Unterhaltung in Lindens und Hannovers Westen. Es ist zu wünschen, dass sie nach dem neuen Konzept des "Stichweh-Leineparks" mit Außengastronomie und Veranstaltungsräumen wieder zu einem lebendigen Mittelpunkt von Geselligkeit, kulturellem Gemeinwesen und Kommunikation wird. Das Flair wird natürlich ein anderes sein. Sicherlich wird es kein Ausflugs- und Vergnügungslokal à la "hier können Familien Kaffee kochen" und "Tanztee" mehr geben. Diese Zeiten sind vorbei. Dafür haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Verhaltensweisen zu sehr verändert. Biergarten anstatt Kaffeegarten, Disco anstatt Schwof. Positiv zu bewerten ist im Übrigen auch die unmittelbare Nähe der ehemaligen Leineinsel - heute nur noch als Halbinsel zwischen Fösse und Leine vorhanden - mit ihrer ausgedehnten Parkanlage. Sie lädt vor oder nach einem Gaststättenbesuch oder in den Seminarpausen der angehenden Lehrer zu erholsamen Spaziergängen im Grünen und am Wasser ein. Schon jetzt bildet der „Stichweh-Leinepark" ein repräsentatives Eingangstor nach Limmer.
Nur eines fehlt noch, gewissermaßen als i-Tüpfelchen: In den beiden oberen Sälen der neuen Gastronomie sollte die Geschichte des Quartiers zumindest in Teilbereichen bildlich dargestellt und erläutert werden. Vorschlag des Verfassers: "Schwanenburg-Saal" und "Stichweh-Saal".
Quellen
Limmer Hof- und Hausbesitzer 1550 - 1979, von Horst Kruse
Diverse Adressbücher der Stadt Hannover
Persönliche Erinnerungen von Horst Bohne
Privatarchiv Werner Müller (Limmer)/Florian Lindinger
Archiv der Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Nikolai (Limmer)
Wikipedia
[Eingestellt am 21.07.2009; zuletzt geändert am 19.07.2013]
Gebäude, Institutionen, sonstige Einrichtungen
- Schwanenburg, Wunstorfer Straße 14, Hannover