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"Bäumchen wechsle dich" - der Nachtwächterbrunnen
Der Nachtwächterbrunnen auf dem Lindener Marktplatz
[Foto 2009: Michael Jürging]
Der Brunnen mit dem Nachtwächter bildet den Mittelpunkt des Lindener Marktplatzes. Wenn man ihn samstags im Trubel des Wochenmarktes stehen sieht, wie er mit vollen Backen ins Horn bläst, möchte man meinen, er persönlich habe die Menschen zum Einkaufen gerufen. Dabei ist er gleich in mehrfacher Hinsicht eine Ersatzlösung: Eigentlich sollte der Brunnen auf einem anderen Platz stehen, eigentlich sollte die Figur etwas anderes darstellen und eigentlich hatte sie auch einen anderen Sockel. Doch der Reihe nach!
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich unter hochmögenden Geschäfstleuten in Hannover die Mode, der Stadt einen hübschen Brunnen zu stiften. Zu den Trendsettern gehörten auch Oscar Winter und Wilhelm Meyer; sie lobten zum 100-jährigen Bestehen ihrer Firma einen Wettbewerb für einen Brunnen auf dem hannoverschen Holzmarkt aus. Ein Wettbewerbsbeitrag, der letztlich nicht zum Sieger gewählt wurde, stammte von Hans Dammann (1857 bis 1942). Seine Brunnenfigur stellte einen Türmer dar.
Nachdem sich die Hannoveraner anderweitig entschieden hatten, begann sich jedoch der Lindener Senator Heinrich Stephanus für den Entwurf von Hans Dammann zu interessieren. Es fügte sich günstig, dass die aufstrebende Stadt Linden seinerzeit gerade ihr Zentrum vom Schwarzen Bären zum neu entstehenden Marktplatz verlagerte. Dort sollte alsbald auch das neue Rathaus errichtet werden.
Heinrich Stephanus, der - ebenso wie der Baron von Alten - durch Grundstücksverkäufe von dieser baulichen Entwicklung besonders profitierte, startete 1895 eine Initiative mit dem Ziel, den Dammann'schen Brunnenentwurf auf dem neuen Marktplatz zu verwirklichen. Dafür stellte er einen Betrag von 5.000 Mark aus seinem Vermögen zur Verfügung und warb weitere Spenden aus der Lindener Bürgerschaft ein.
Weil allerdings ein Türmer in Linden keinerlei Tradition vorzuweisen hatte, wurde die Figur kurzerhand in einen Nachtwächter umfunktioniert. Das war eine preisgünstige Lösung; denn der ursprüngliche Entwurf musste nicht allzu sehr überarbeitet werden. Kritische Stimmen, die einen Nachtwächter als Symbolfigur für altbacken hielten und Linden lieber einen moderneren Imageträger verpasst hätten, konnten sich damit nicht durchsetzen. Und so wurde der Brunnen am 20. September 1896 mit einer feierlichen Zeremonie auf dem Lindener Marktplatz eingeweiht.
In einem hannoverschen Stadtführer aus dem Jahre 1909 wird der "höchst originelle und reizvolle Marktbrunnen" folgerndermaßen beschrieben:
"In einem Becken aus grauem Granit erhebt sich eine gedrungene gotische Säule aus rotem Granit; auf dieser steht, den wachsamen Hund zu seinen Füßen, der Wächter der Stadt, breitbeinig und hochgereckt, ein Urbild selbewussten, auf sich selbst gestellten Bürgertums, in der Rechten das Horn zum Hineinblasen ansetzend, die Linke erhoben, den Spieß und die Laterne haltend. Als Wasserspeier sind an dem Säulensockel vier den Buckel krümmende Katzen und vier Fledermäuse angebracht."Ursprünglich stand der Brunnen mitten auf dem Lindener Marktplatz. Der Nachtwächter ist mit Hellebarde, Laterne, Signalhorn und einem Wachhund ausgestattet. Den Sockel zieren Katzen und Fledermäuse als Symbole der Nacht.
[Quelle: Nachlass Werner Krämer]
1914 wurde sein Standort noch einmal um einige Meter verschoben. Zunächst hatte der Brunnen auf Höhe der Schwalenberger Straße gestanden und der Nachtwächter trompetete in Richtung Posthornstraße. Mit der Verschiebung erhielt der Brunnen seinen heutigen Platz vor dem Rathaus. Die Figur wurde um 90 Grad gedreht und kehrt dem Verwaltungssitz seither den Rücken zu.
Während des zweiten Weltkriegs musste der Nachtwächter samt Sockel den Lindener Marktplatz in Richtung Hamburger Hafen verlassen - nicht um ihn fürsorglich vor Bombeneinwirkungen zu schützen, sondern um sein Bronzematerial "kriegswichtigen Zwecken" zuzuführen.
Überraschender Weise kehrten der Nachtwächter und sein treuer Hund im Jahr 1949, also nach Kriegsende, einigermaßen unbeschadet nach Hannover zurück. Allerdings war der Sockel abhanden gekommen und mit ihm die bronzenen Katzen und Fledermäuse, die Symbole der Nacht.Der Nachtwächterbrunnen in den 1980er Jahren. Mit dem alten Sockel gingen auch die Katzen und Fledermäuse verloren. Außerdem fehlte lange Zeit die Laterne: In dem Granitsockel war kein Platz für eine Leitung vorhanden, um sie zu beleuchten.
[Quelle: Nachlass Werner Krämer]
Gleichwohl konnte der Nachtwächter im Mai 1950 wieder seinen angestammten Platz auf dem Lindener Marktplatz einnehmen - auf einem Sockel aus rotbraunem Granit. Der stammt wiederum von einem anderen hannoverschen Brunnen, dessen Figur während des Krieges ebenfalls in den Hamburger Hafen verfrachtet worden war: Johannes Gutenberg.
Der Gutenbergbrunnen war im Jahr 1890 von Heinrich Ebhardt, einem Fabrikanten für Geschäftsbücher, gestiftet und von der Stadt Hannover am Friedrichswall, nahe des Neuen Rathauses, aufgestellt worden. Der Bildhauer Carl Dopmeyer (1824 bis 1899) hatte die Bronzeplastik entworfen.Der Gutenbergbrunnen am Friedrichswall im Jahr 1910
[Quelle: Sammlung Jürgen Wessel]
Die Figur des Johannes Gutenberg kehrte ebenfalls im Jahr 1949 aus Hamburg zurück. Sie war aber im Vergleich zum Lindener Nachtwächter erheblich stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Dennoch ist auch Johannes Gutenberg wieder an die Öffentlichkeit getreten - wenn auch nicht gerade ins Rampenlicht. Die Figur steht heute auf einem gemauerten Sockel in der Schloßwender Straße am Rande des Königsworther Platzes. Im hektischen Verkehrstreiben haben selbst wohlmeinende Betrachter/innen Mühe, sich beim Anblick des Denkmals auf den Wert eines guten Buches zu besinnen.Das Gutenbergdenkmal (siehe Kreis) steht heute am Rande des Königsworther Platzes an der Ecke Schloßwender Straße/Nienburger Straße.
[Foto 2007: Michael Jürging]
Dabei ist sein Standort keineswegs willkürlich gewählt: Bei dem Gebäude, das hinter der Figur des Johannes Gutenberg aufragt, handelt es sich um das Stammhaus der Geschäftsbücherfabrik J.C. König & Ebhardt. Wir erinnern uns: Heinricht Ebhardt war der Stifter des Gutenbergbrunnens.
Was die Aufmerksamtkeit angeht, hat es der Nachtwächter auf dem Lindener Marktplatz erheblich besser getroffen. Inzwischen trägt er auch wieder eine Laterne in der Hand, die den späten Flaneuren heimleuchtet.
Quellen
Rainer Ertel & Ernst-Friedrich Roesener: Hannoversches Brunnenbuch, Hannover 1988.
Walter Buschmann: Linden - Geschichte einer Industriestadt im 19. Jahrhundert, Hildesheim 1981.
Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs in Hannover: Führer durch Hannover und seine Umgebung, Hannover 1909.
[Eingestellt am 10.11.2009; zuletzt geändert am 23.01.2016]
Gebäude, Institutionen, sonstige Einrichtungen
- Der Nachtwächterbrunnen, Lindener Marktplatz, Hannover