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Das Lindener Barockschloss
Dieser Artikel ist dem Buch
"Linden - Streifzüge durch die Geschichte"
des Journalisten Torsten Bachmann entnommen.
Barocke Pracht in Linden: Das Lustschloss des Grafen von Platen
Von Torsten Bachmann
Die Bauern im kleinen Dorf Linden staunten nicht schlecht. In Sichtweite ihrer Scheunen und Häuser tat sich etwas offensichtlich Großes. Hunderte von streng geschnittenen Formbäumchen und Hecken waren in die Erde gesetzt worden. Gärtner legten letzte Hand an bunt bepflanzte Blumenrabatten. Skulpteure und Bauleute arbeiteten an verzierten Wasserbecken, Fontänbrunnen und lebensgroßen Sandsteinfiguren. Von allen vier Seiten des Geländes führten markante Wege auf ein herrschaftliches Gebäude zu: Ein zweistöckiges Lustschloss mit neuartigen hochaufragendem Mansardendach, das in Frankreich gerade in Mode kam. Keine Frage, hier ließ sich ein schwerreicher Adliger einen prachtvollen Barockgarten anlegen.
Nordseite des Schlosses. Vom großen Gartensaal kam man direkt auf die Terrasse mit Balustrade. Vorne rechts eine der Treppen, die ins Herzstück des Barockgartens führten: dem Parterre. Es diente der Repräsentation, dem Sehen und Gesehen werden der geladenen Gäste.
[Quelle: Sammlung Jürgen Wessel]
Im Jahr 1692 war diese außergewöhnliche Anlage weitestgehend vollendet. Der Bauherr: ein gewisser Freiherr Franz Ernst von Platen.
Franz Ernst von Platen führte ein Leben in Reichtum und Luxus.
[Quelle: Historisches Museum Hannover]Der umtriebige Adlige war 1659 in die Dienste des Herzogs Ernst August zu Braunschweig-Lüneburg eingetreten. Schnell stieg er zum Geheimen Kammerrat und Hofmarschall auf. 1679 folgte von Platen dem Herzog, der das Fürstentum Calenberg geerbt hatte, nach Hannover.
Freiherr von Platen liebte den Luxus und konnte ihn sich auch leisten. Der Herzog bezahlte ihm stattlichen Sold und stellte ihm mietfrei das Hofmarschallhaus zur Verfügung. Weitere beträchtliche Einnahmen kassierte von Platen durch „Handgelder“ bei diplomatischen Verhandlungen und durch das sehr einträgliche Amt des General-Erbpostmeisters. So kam er auf Einkünfte, die schon fast an die des Herzogs heranreichten. Von Platens Titel brachten ihm aber nicht nur viel Geld ein, sondern bedeuteten auch Repräsentationspflichten.
Die Stadtresidenz in Hannover genügte den hohen Ansprüchen des Freiherrn nicht annähernd. So suchte der Liebhaber luxuriösen Lebens nach einem passenden Landgut – um es zum repräsentativen Sommersitz ausbauen zu können.
Nahe des kleinen Bauerndorfes Linden wurde er fündig. Hier stand ein kleines Rittergut der Familie von Alten. Während des Dreißigjährigen Krieges war dieses Gut immer wieder geplündert worden und dadurch die Adelsfamilie verarmt. Das Angebot des reichen Hofmarschalls kam den von Altens ganz gelegen. Im Jahr 1688 verpfändeten sie die Ländereien und das Rittergut auf 20 Jahre an den Freiherrn. Nach dieser Zeit bestand ein Rückkaufsrecht für die von Altens. Mit einer Bedingung: Alle bis dahin neugebauten Anlagen wie z.B. Gebäude und Gärten sollten dem Hofmarschall oder seinen Erben zum aktuellen Wert vergütet werden. Eine ungünstige Klausel für von Altens, wie sich später herausstellen sollte.
Auf dem neuen Landbesitz ließ Hofmarschall von Platen schon bald den bereits erwähnten Barockgarten mit Lustschloss anlegen. Das Schloss im Barockstil entstand in kurzer Bauzeit, denn nur Kellergeschoss und Portal wurden aus Stein errichtet. Darauf erhob sich ein zweistöckiger verputzter Fachwerkbau mit Mansardendach. Italienische Künstler, Stuckateure und Maler verzierten die Innenräume. Eines allerdings war ungewöhnlich: Die damals üblichen Wandmalereien gab es nur im repräsentativen Gartensaal. An den Wänden und Decken der anderen Räume hingen stattdessen große abnehmbare Bilder. Diese reine Vorsichtsmaßnahme hatte von Platen getroffen, um nach Ablauf des 20-jährigen Pachtvertrags zumindest einige Werte aus dem Schloss mitnehmen zu können.
Mätresse des Herzogs und eine der mächtigsten Frauen Hannovers: Clara Elisabeth von Platen.
[Quelle: Historisches Museum Hannover]
Der in Versailles ausgebildete französische Gartenmeister René Dahuron gestaltete die barocke Gartenanlage. Direkt am Schloss lagen sechs große Parterrebeete, in denen Blumen in allen möglichen Farben erstrahlten. Sprudelnde Fontänen schmückten die Plätze dazwischen. Allerlei Wege zum Lustwandeln boten Heckenboskette, Laubengänge und Broderien mit Buchsbaumelementen. Spalierobstbäume sorgten mit ihren Früchten für eine reichlich dekorierte herrschaftliche Tafel. Ein Pavillon gewährte den feinen Damen und adligen Herren Unterschlupf bei heißer Sonne oder plötzlichem Regen. Kurzweil brachten die Orangerie, ein Tiergarten und eine begehbare Insel auf einem kleinen See. Auch Nutzareale mit Obst und Gemüse waren angelegt, wo u.a. Artischocken, Spargel, Erdbeeren, Melonen und Küchenkräuter wuchsen. Als der Barockgarten 1692 fertig gestellt war, wurde er wegen seiner üppigen Pracht in Reiseberichten erwähnt und konkurrierte sogar mit dem „Großen herzöglichen Garten in Herrenhausen“.
Im neuen Lustschloss konnten die von Platens endlich ihrem Wunsch nach prunkvoller Repräsentation nachkommen.
Der Gartensaal des Schlosses Anfang des 20. Jahrhunderts.
[Quelle: Historisches Museum Hannover]
Hier empfingen sie die hohen Gäste zu großen Empfängen, verschwenderisch inszenierten Maskenbällen und rauschenden Festen. Gefeiert wurde im prächtigen Gartensaal des Schlosses. Dieser fast 100 Quadratmeter große Raum reichte über acht Meter in die Höhe und war mit farbigem Marmorfußboden ausgestattet. Große Kronleuchter an der Decke erhellten den Saal und die feinen Deckenmalereien.
Geheimräte, Grafen, reiche Handelsherren – sie alle kamen, wenn die Platens zu Festivitäten riefen. Denn diese schwerreiche Adelsfamilie hatte enorme Macht durch ihren Einfluss am herzoglichen Hof. Graf von Platen war inzwischen Premierminister des Herzogs und Gräfin von Platen die herzogliche Mätresse. Kurze Zeit nach ihrer Heirat mit von Platen hatte sie die Gunst des Herzogs gewonnen und übte großen Einfluss auf ihren Liebhaber aus. Was Ehemann von Platen über diese Beziehung dachte, ist nicht überliefert. Möglicherweise akzeptierte er aus machtpolitischen Kalkül diese Liaison, aus der auch die beiden leiblichen Kinder der Gräfin hervorgingen.
Mit dem Tod des Grafen von Platen endete die Hochphase der gesamten Gartenanlage. Sie gelangte erst im Jahre 1816 wieder in den Besitz der Familie von Alten. Ein Rechtsstreit über die Vergütung für die wertvollen Bauwerke hatte sich über mehrere Jahrzehnte hingezogen. Im Laufe der Zeit wurde der ehemalige Barockgarten im Stil eines englischen Parks umgestaltet, einige Areale verkauft und bebaut. Das Schloss hingegen blieb von all den Änderungen nahezu unberührt. Es stand bis zum Jahr 1945. Als eine Fliegerbombe das Gebäude traf, brannte es vollständig aus. In der erhalten gebliebenen Kellerruine wurden bis 1965 Spirituosen hergestellt und ein Weinhandel betrieben, bevor auch diese letzte Nutzung endete. Heute zeugen im Von-Alten-Garten noch ein paar Relikte von einer glanzvollen Vergangenheit.
Die historische Schlossterrasse: wo sich früher ein Teil des Barockgartes erstreckte, ist heute öffentlich zugängliche Grünfläche.
[Foto: Torsten Bachmann]
© 2012 Torsten Bachmann, Hannover
www.torsten-bachmann.de