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Nach dem Feuersturm: Photographie in Hannover um 1950
von Heiko Arndt
Blick von der Marktkirche über die Trümmerlandschaft im Zentrum, halblinks im Hintergrund die Christuskirche
[Photo: Sammlung Arndt]Das Stadtbild Hannovers in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde photographisch in vielen Einzelheiten dokumentiert. Wer sich dafür interessiert, kann auf eine Reihe gut illustrierter Bücher zurückgreifen. Freilich gibt es da Schwerpunkte, räumlich liegt der Fokus mehr auf dem Zentrum der Stadt. Und es bleiben blinde Flecken.
Als Photograph am bekanntesten in dem Zusammenhang ist Wilhelm Hauschild; er war enorm umtriebig, gefühlt fast allgegenwärtig; in jenen Jahren hielt er ein hohes Ausmaß von Zerstörung fest und dann auch den Aufbau. Immer wieder werden seine Arbeiten wegen ihrer Qualität und wegen ihres Reichtums an Motiven herangezogen, teilweise dienen sie als Grundlage für den Vergleich des früheren Stadtbildes mit dem heutigen. Dabei hatte Hauschild durchaus hochklassige Kollegen – seien ihre Namen auch weniger geläufig. Außerhalb von Museen und Archiven tauchen ihre Bilder nicht so sehr auf, nur ansatzweise im Internet.
Im Folgenden soll eine kleine Zufallsentdeckung vorgestellt werden: Photos aus einem Nachlass, von einer namentlich nicht bekannten Person, die um 1950 herum in Hannover (dabei auch in Linden) tätig war, vermutlich als professioneller »Lichtbildner«. Dafür spricht das handwerklich hohe Niveau.
Calenberger Neustadt und Linden, im Hintergrund hebt sich mit Schornstein das Kesselhaus von Werner und Ehlers ab
[Photo: Sammlung Arndt]Charakteristische Silhouette von Linden, links im Mittelgrund die Spinnereibrücke
[Photo: Sammlung Arndt]
Die Limmerstraße nahe dem Küchengarten
[Photo: Sammlung Arndt]
Szene an der Ihmebrücke beim Schwarzen Bären, links und rechts wird Handel betrieben
[Photo: Sammlung Arndt]
Die Auswahl hier zeigt verschiedenartige Szenen, stets Dinge und Menschen in der Öffentlichkeit. Wer auch immer das aufnahm, wusste, wo etwas los war in Hannover, bisweilen mit Prominenz, spürte aber auch den kleinen Ereignissen abseits der schlagzeilenträchtigen Themen nach. Manchmal recht aufwendig bezog da jemand Stellung mit der Kamera, kletterte sogar auf Dächer.
Bauarbeiten an der Marktkirche, im Mittelgrund die Ruine des Leineschlosses
[Photo: Sammlung Arndt]
Turnveranstaltung beim Landesmuseum, erstes Bild
[Photo: Sammlung Arndt]
Turnveranstaltung beim Landesmuseum, zweites Bild - mit ganz anderer Wirkung durch die Trümmerkulisse
[Photo: Sammlung Arndt]
Im Unterschied zur Knipser-Photographie der Laien wurde überlegter komponiert. Ein etwas längerer Negativstreifen – der ausnahmsweise neben meist einzeln verpackten Negativen vorliegt – deutet das arbeitsökonomische Vorgehen an. Darauf ist zu sehen ist, wie eine Aufnahme nach der anderen gelang, bei wechselnden Motiven. Das Bewusstsein für die Lichtverhältnisse und für die Wirkung realer Farben auf Schwarz-Weiß-Film drückte sich meisterlich aus. Natürlich lassen sich die Ergebnisse nicht alle als perfekt benennen (ebenso wenig wie bei Hauschild), doch die insgesamt souveräne Leistung ist evident.
Den Erhaltungszustand der Negative, teils Kleinbild, teils Mittelformat, kennzeichnen normale Spuren, vereinzelt starke Beschädigungen. Am deutlichsten zeigt sich das am Beispiel zum Schwarzen Bären; wie ein Reflex auf die zerbombte Silhouette ziehen sich irritierende Flecken über das ganze Bild. Das gehört zu solchen Funden wie der Geruch von altem Papier im Archiv, wie in Ölgemälden die feinen Risse, abgeplatzte Farbe. Und trotz der Schäden und durch sie hindurch wurde hier manches überliefert, was in einschlägigen Veröffentlichungen nicht begegnet: ein kaum noch erinnertes oder verlorenes Stadtbild.
Die Absicht hinter den Bildern bleibt unbestimmt. Ging es darum, die Physiognomie jener Übergangszeit zu veranschaulichen, den Willen zum Aufbau aus Ruinen? War geplant, ein gewisses Spektrum typischer Eindrücke aus einer Stadt festzuhalten? Oder richtete sich das Programm nach den Wünschen der Zeitungen?
Die Leine beim Beginenturm
[Photo: Sammung Arndt]
Blick auf die Clemenskirche in der stark zerstörten Calenberger Neustadt
[Photo: Sammlung Arndt]
Arbeiten am Leineschloss, dem neuen Landtagsbebäude, rechts dahinter das Neue Rathaus
[Photo: Sammlung Arndt]
Junges Paar mit Kinderwagen vor der Stadthalle, deren Kuppel wiederhergestellt wird
[Photo: Sammlung Arndt]
Die Georgstraße in Richtung Steintor, teilweise noch flach bebaut
[Photo: Sammlung Arndt]
Der Kröpcke mit nächtlicher Leuchtreklame
[Photo: Sammlung Arndt]
Die »Weltspiele« in der Georgstraße und »Das Tor zum Paradies«
[Photo: Sammlung Arndt]
Jedenfalls sollte diese Arbeit mehr bedeuten, als bloß zu dokumentieren, sie verwies auch hoffnungsfroh in die Zukunft. Denn überblickt man die größere Serie, nicht nur die Auswahl hier, dann lässt sich zusammenfassen: Man sieht Konstruktives, besonders an Gebäuden. Man sieht Gruppen von Kindern und Jugendlichen, nicht aber von Alten. Man sieht Rennfahrer, keine Kriegskrüppel. Man sieht konsumwilliges Publikum, Aktivismus, emsiges Schaffen. Man sieht nicht: Viele verdrängten so auch die jüngste Vergangenheit. Nur zu passend fügt sich jene Aufnahme mit Kinoreklame in das Ganze, mit dem Titel »Das Tor zum Paradies«. Und umgekehrt: Völlig fern liegt dieser Bilderwelt ein hinterfragendes Umgucken. Wie ein Fremdkörper würde hier die Reklame für einen anderen Nachkriegsfilm wirken, von Wolfgang Staudte: »Die Mörder sind unter uns«.
Zum Weiterlesen:
Narten, Michael: Zeitreise durch Hannover. Unterwegs mit Wilhelm Hauschild. Hannover 2009
Urban, Andreas (et al.): Stadtbilder. Zerstörung und Aufbau. Hannover 1939–1960. Hannover 2013
[Eingestellt am 14. 3. 2021]