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Die Vereinigung von Hannover und Linden - eine fast hundertjährige, unglaubliche Geschichte
von Horst Deuker
Ein früher gern verwendeter Briefanfang aus der Geschäftswelt lautet: „Bei Durchsicht meiner Bücher ...". Meistens erinnerte damit der Schreiber an eine noch zu leistende Zahlung. Mich erinnert die Redewendung aber auch an Erich Kästner, denn genau das war der Titel eines seiner Gedichtbände - zugleich mein erstes Buch aus der Feder des von mir verehrten Autors.
Magistratsvorlage zur besonderen Sitzung des Bürgervorsteherkollegiums der Stadt Hannover am 31. Oktober 1919
[Quelle: Privatbesitz Horst Deuker]Also, bei besagter Durchsicht fiel mir ein gebundenes Schriftstück in die Hände, das ich vor über zehn Jahren auf dem Flohmarkt erstanden habe, 69 Seiten stark, schon etwas vergilbtes Papier und die letzte Seite stark beschädigt. Sein Titel lautet: „Betr. Vereinigung der Städte Hannover und Linden." Herausgeber war der damalige Magistrat der Stadt Hannover. Der Druckschrift ist ein Brief des hannoverschen Magistrates mit der Unterschrift von Oberbürgermeister Robert Leinert vorangestellt. Es handelt sich um die Einladung zu einer besonderen Sitzung des Bürgervorsteherkollegiums für Freitag, den 31. Oktober 1919, nachmittags um 5 Uhr. Der Einladung ist die Magistratsvorlage Nr. 1 an das Bürgervorsteherkollegium vom April 1919 beigefügt. Sodann folgt eine „Vergleichende Finanzübersicht" und als nächstes ein Auszug aus den "Mitteilungen für die Mitglieder des Bürgervorsteherkollegiums der Stadt Hannover" (X. Jahrgang, Nr. 75), herausgegeben von der Geschäftsstelle des Bürgervorsteherkollegiums. Die Überschrift des Artikels lautet: „Die geschichtliche Entwicklung der Eingemeindungsfrage." Es schließen sich die "Protokolle über die Verhandlungen der Eingemeindungskommissionen" an. Mit den "Drucksachen zu den Protokollen über die Kommissionssitzungen", vom Lindener Oberbürgermeister Hermann Lodemann unterzeichnet, endet die Zusammenstellung.
Soweit der Inhalt des von mir wiederentdeckten Schriftstücks, welches sich also mit der Zusammenlegung der beiden Nachbarstädte beschäftigt. Was mich irritierte, waren die unterschiedlichen Formulierungen für denselben Sachverhalt: Einerseits „Vereinigung", andererseits „Eingemeindung". Müsste es sich wegen des selbständigen Status' der beiden Städte nicht eindeutig um eine Vereinigung gehandelt haben, auch wenn Hannover der größere Partner war?
Die Sitzungseinladung des hannoverschen Oberbürgermeisters Leinert für den 31. Oktober 1919 wurde durch ein Schreiben des Magistrats der Stadt Linden vom 27. November 1918 an den Magistrat der Stadt Hannover veranlasst. Darin wird offiziell darum ersucht, miteinander in Verbindung zu treten. Der Zweck, so heißt es in dem Lindener Schreiben, sei „zunächst eine Fühlungnahme zwischen den beiden Leitern der Stadtverwaltungen unter Hinzuziehung von vielleicht je einem Sachbearbeiter ..., um einige grundsätzliche Gesichtspunkte aufzustellen, auf deren Grundlage eine weitere Bearbeitung der Angelegenheit in einer aus Mitgliedern beider städtischer Kollegien zu bildenden Kommission von nicht zu großer Mitgliederzahl erfolgen könnte." Unterschrift: Lodemann, Oberbürgermeister der Stadt Linden.
Gleich darunter hatte das Statistische Amt der Stadt Hannover die Ergebnisse der jüngsten Bürgervorsteherwahlen vom 23. Februar 1919 gesetzt. Zählt man darin die Stimmen für die Sozialisten gegenüber den Stimmen für die Bürgerlichen von Hannover und Linden zusammen, dann sieht man, dass die Sozialisten bei der Wahl mit 50,9% die Mehrheit erreicht hatten. Auf die Konsequenzen für den Vereinigungsprozess werden wir nachher noch einmal zurückkommen.
Auszug aus der Magistratsvorlage: Ergebnisse der Bürgervorsteherwahlen in Hannover und Linden vom 23. Februar 1919
[Quelle: Privatbesitz Horst Deuker]
Doch wenden wir uns zunächst der vorangegangenen Entwicklung der Vereinigungsbestrebungen zu. Mit Erstaunen nehmen wir da zur Kenntnis, dass die ersten Überlegungen tatsächlich aus Hannover gekommen sind. Ein hochrangiger Mitarbeiter des Herzogs von Cambridge namens von der Decken schrieb in einer auf den 24. Mai 1817 datierten Denkschrift („Pro Memoria"):
„Nur durch die Einverleibung des benachbarten Linden [kann] Hannover ein Ort von Bedeutung werden. Je näher die Stadt [Hannover] daher der Ihme gebracht werden kann, umso mehr wird man sich dieser Vereinigung nähern." (Zitat nach Georg Hoeltje 1964 / siehe Quellenverzeichnis)
Bei den Überlegungen von der Deckens ging es insbesondere um den Bau eines städtischen Hafens an der Ihme. Dieser Hafen, so seine Kalkulation, würde die Transportkosten für Baumaterialien und andere Güter wesentlich verbilligen. Genau auf diesen Effekt setzte seinerzeit übrigens auch Johann Egestorff, der bekannte „Kalkjohann" aus Linden, mit seinen Schiffstransporten von und nach Bremen auf der Verbindungslinie Ihme - Leine - Aller - Weser.
Die Lage an der Ihme war damals aber auch für die vornehmeren Familien aus Hannover nicht uninteressant. Klaus Mlynek (1993) schreibt dazu:
„Hier finden sich die Gartenhäuser und Gärten der hannoverschen Bürger wieder. Linden ist noch eine Vorstadt im Grünen. Auch der königliche Hof- und Küchengarten mit seinen 30 Morgen gehört dazu, sowie das Gut Linden mit einem 77 Morgen großen Park, welcher gerade 1816 wieder in den Besitz der Familie von Alten gelangt ist."
Der hannoversche Stadtplaner Georg Ludwig Friedrich Laves. Das Porträtgemälde von Carl Oesterley entstand 1865, ein Jahr nach dem Tode von Laves.
[Quelle: Archiv Historisches Museum Hannover]Über allen diesen Erwägungen stand aus hannoverscher Sicht die Frage, in welche Richtung sich die königliche Residenzstadt weiter entwickeln sollte. 1819 wurde der Stadtplaner Georg Ludwig Friedrich Laves (1788 - 1864) von der Regierung in London beauftragt, ein Gutachten über die Möglichkeiten zur Vergrößerung Hannovers zu erstellen. Seinerzeit bestand ja noch die Personalunion von Großbritannien und Hannover, wobei König Georg III. (1738 - 1820) natürlich in London residierte. Seine hannoverschen Lande hat er übrigens nie besucht. Laves, der ursprünglich einen Ausbau Hannovers nach Westen, also Richtung Linden favorisiert hatte, kam im Zuge seiner konzeptionellen Überlegungen zu dem Schluss, dass stattdessen einer Ausdehnung nach Nordosten der Vorzug zu geben sei. In der Kommission, die zu dieser Frage eingesetzt worden war, gab es darüber jahrelang kontroverse Debatten, denn faktisch tendierte die Entwicklung Hannovers vor allem Richtung Westen. Letztlich setzte sich Georg Ludwig Friedrich Laves mit seinen Vorschlägen durch und erhielt 1830 von der königlichen Regierung die Genehmigung zur Verwirklichung seiner Pläne.
Zwischenzeitlich hatte London einen weiteren Auftrag an Laves vergeben, nämlich die Gestaltung eines „Waterlooplatzes" als Exerzier- und Paradeplatz. Man wollte eine stolze Erinnerungsstätte für die Schlacht bei Waterloo von 1815 schaffen, wo hannoversche Truppen am Sieg über Napoleon beteiligt gewesen waren. Die feierliche Einweihung des Waterlooplatzes, den man nach Laves' Plänen am Westrand der Residenzstadt anlegte, wurde am 18. Juni 1832 begangen. Aber auch diese städtebauliche Maßnahme änderte nichts an dem Entschluss von Laves, Hannover künftig Richtung Ost-Nordost zu erweitern. Damit war auch die Option, das Dorf Linden nach Hannover einzugemeinden, vorerst vom Tisch.
Noch im Jahre 1827 hatte es dazu einen weiteren ernsthaften Versuch gegeben. Der Anlass war, dass der hannoversche Magistrat auf Anregung von Stadtdirektor Wilhelm Rumann (1784 - 1857) den Entschluss gefasst hatte, in Linden ein größeres Gartengrundstück am Ihmeufer zu kaufen, um dort ein Krankenhaus zu bauen. Bei der Gelegenheit wurde von mehreren Seiten die Frage aufgeworfen, ob es für Hannover nicht ratsam sei, das gesamte von Alten´sche Gut aufzukaufen und das Dorf Linden gleich dazu. Zur Begründung hieß es, dass der Erwerb des Gutes nicht nur aus spekulativen Gründen Vorteile biete, sondern auch in anderer Hinsicht von großem Nutzen sein werde. Die Einbeziehung Lindens sei schon deshalb von Bedeutung, weil damit den hannoverschen Gewerbebetrieben neue Absatzgebiete erschlossen würden. Die Pläne zerschlugen sich jedoch, weil der Eigentümer des Gutes, der Oberhauptmann von Alten, einen zu hohen Preis forderte.
Das erste Krankenhaus in Linden - hier links im Bild auf einer Postkarte um 1910 - wurde von der Stadt Hannover zwischen 1828 und 1832 gebaut.
[Quelle: Nachlass Ilse Popp]
Unabhängig davon wurde das hannoversche Krankenhaus auf Lindener Gebiet nach vierjähriger Bauzeit im Jahre 1832 fertiggestellt. Bis dahin stand Hannover in der Hauptsache das Stadtlazarett am Beginenturm zur Verfügung. Die Pläne für das Krankenhaus am Ihmeufer stammten von dem neuen hannoverschen Stadtbaumeister August Heinrich Andreae (1804 - 1846). Der Bau war in gewisser Weise das Stein gewordene Zeugnis dafür, dass die Stadtverwaltung Hannovers bis vor wenigen Jahren eine Erweiterung nach Westen angestrebt hatte.
Die im Königreich Hannover ausbrechenden Revolutionen von 1830/31 und 1848/49 fanden in Linden eigentlich keinen Widerhall. In Hannover gab es zwar anlässlich der „Bauernbefreiung" einige Tumulte, nicht aber in Linden.
Man schrieb das Jahr 1836, als noch einmal Verhandlungen über einen Ankauf des Gutes derer von Alten aufgenommen wurden. Wieder scheiterte das Vorhaben an den finanziellen Forderungen des Eigentümers, denn der Ankauf hätte die Stadt Hannover mit 200.000 Talern belastet. Obwohl sich 14 von 16 Bürgervorstehern für den Erwerb ausgesprochen hatten, kamen plötzlich Zweifel über den Reinertrag des Gutes auf. Die "Mitteilungen für die Mitglieder des Bürgervorsteherkollegiums der Stadt Hannover" blickten 1919 auf die Kaufverhandlungen zurück und zogen das Fazit:
„Damit trat dieses, für damalige Zeiten gewaltige Projekt, das ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten bot, wieder in den Hintergrund, um nach und nach ganz in Vergessenheit zu geraten."
In den folgenden Jahren gab es keine Veranlassung, den Beratungsstoff wieder aufzunehmen. Beide Seiten hatten bis auf Weiteres viel mit eigenen Problemen zu tun. In Linden musste man sich auf tiefgreifende Veränderungen einstellen: Das Zeitalter der Industrialisierung hatte begonnen.
Die von Johann Egestorff betriebenen Kalkbrennereien auf dem Lindener Berg standen am Beginn der gewerblich-industriellen Entwicklung Lindens im 19. Jahrhundert.
[Quelle: St. Martinsgemeinde]So hatte sich Johann Egestorff (1772 - 1834) mit großer Energie einen Verbund aus mehreren Betrieben aufgebaut, der bei seinem Tode schon 400 Beschäftigte aufwies. In Linden gab es zu dieser Zeit gerade einmal 2.500 Einwohner, wobei fast 1.000 Leute von der Betriebsamkeit Johann Egestorffs profitierten und Arbeit fanden. Auch das von Alten'sche Gut und die Familie Knigge waren wichtige Arbeitgeber, allerdings mit dem Schwerpunkt im landwirtschaftlichen Bereich.
Die Hanomag, die 1835 als "Eisen-Giesserey und Maschinenfabrik Georg Egestorff" gegründet worden war, mauserte sich zum größten Lindener Industriebetrieb.
[Quelle: Nachlass Werner Krämer]Die Firmengründungen in Linden nahmen damals rasant zu, zum Beispiel die Saline Georg Egestorffs (1831), die Lederfabrik Söhlmann (1833), die Mechanische Weberei (1837), die Chemische Fabrik (1839) und nicht zu vergessen Georg Egestorffs Eisengießerei und Maschinenfabrik (1835), die wiederum ein ganz neues Zeitalter bestimmen sollte, nämlich den Eisenbahn- und Lokomotivenbau.
Und was passierte zur selben Zeit in Hannover? Einschneidend war in jedem Falle die Beendigung der Personalunion mit Großbritannien. In London hatte am 20. Juni 1837 Queen Victoria (1819 - 1901) den Thron bestiegen; weil aber im Königreich Hannover eine weibliche Thronfolge nicht vorgesehen war, kam nun Ernst August I. (1771 - 1851), der fünfte Sohn Georgs III., als König von Hannover auf den Welfenthron. Noch 1834 hatte Hannover mit Rücksicht auf England seinen Beitritt zur neu gegründeten deutschen Zollunion verweigert und damit wichtige Privilegien preisgegeben, was für die Weiterentwicklung der hannoverschen Wirtschaft von großem Nachteil war. Denn das bedeutete bei der Vielstaaterei in Deutschland erhebliche Mehrkosten für Zollabgaben an den vielen Grenzen. Erst zwanzig Jahre später entschloss man sich endlich auch in Hannover, der Zollunion beizutreten. Schon 1838 reichten 250 Bürger der Altstadt eine Eingabe beim Magistrat ein, in der sie beklagten, dass das gewerbliche Wachstum in Linden dem Handwerk und Gewerbe in Hannover schwer zu schaffen mache; es seien sogar schon öffentliche Institute nach Linden „abgewandert". Bemerkenswerterweise war damit insbesondere das neue Krankenhaus an der Ihme gemeint. Hannovers Hauptsorge war der Platzmangel für Gewerbebetriebe. Nur kleine Unternehmen konnten sich hier niederlassen, während sich Linden von einer bäuerliche Gemeinschaft stetig zur handwerklich-gewerblichen Interessengruppe wandelte.
Natürlich gab es in Linden auch erhebliche Interessenkollisionen, zumal der Baron von Alten durch die Patrimonialgerichtsbarkeit noch immer eine unmittelbare Machtposition besaß. Sie ist erst 1852 erloschen. Konservativ eingestellte Bewohner wollten möglichst keine Veränderungen in den traditionellen Lebensverhältnissen. Auf der anderen Seite hatten die Gewerbetreibenden ihre eigenen Vorstellungen von Reformen und künftiger Wirtschaftsentwicklung. Mit den Firmengründungen in den 1830er Jahren hatte in der Tat ein neues Zeitalter begonnen. Der Gründerboom hielt noch bis weit in die 1860er Jahre hinein an.
Freilich darf man darüber nicht übersehen, dass es in Linden bald nicht zu unterschätzende soziale Probleme gab. Das Dorf platzte aus allen Nähten. 1861 zählte man bereits 9.884 Einwohner. Längst gab es Wohnquartiere, die wir heute als katastrophal bezeichnen würden, beispielsweise die Fanny- und Velvetstrasse in Linden-Nord oder die Charlotten- und Ricklingerstrasse in Linden-Süd mit ihren Abzweigungen Haspelmath-, Behnsen-, Wessel- und Tonstrasse, "Klein Rumänien" an der Göttinger Strasse nicht zu vegessen. Das gab natürlich auch politischen Zündstoff. Die Sozialdemokraten traten auf den Plan, bekamen zwar durch die Bismarck´schen Sozialistengesetze einen gewissen Dämpfer, aber die Bewegung ließ sich letztlich nicht aufhalten. Bei den Reichstagswahlen im Jahre 1867 erhielt die SPD in Linden bereits 48% der Stimmen, während es im gesamten Wahlkreis Hannover nur 11% waren. Allerdings bekamen die Sozialdemokraten erst 1884 mit Unterstützung der Nationalliberalen eine politische Mehrheit zustande - trotz der Sozialistengesetze.
In Linden machte sich inzwischen in der Entwicklung eine gewisse Stagnation breit. Währenddessen fand man in Hannover im Laufe der Jahre doch Möglichkeiten für Betriebsansiedlungen. Walter Buschmann (1981) schreibt, dass Hannover um 1875 das benachbarte Linden als Industriestandort überholt hatte. Zwar befand sich die Mehrzahl der größeren Betriebe in Linden, doch Hannovers Industrie hatte nun ein größeres Gewicht bekommen. In Linden stagnierte die Industrie seit 1890, weil es kaum noch verfügbare Gewerbeflächen gab und somit auch keine Erweiterungsmöglichkeiten. Die Firmeneigentümer wohnten privat vielfach in Hannover und bezahlten deshalb auch dort ihre Steuern. Im Jahre 1907 pendelten rund 11.000 Menschen zur Arbeit von Linden nach Hannover, während es in umgekehrter Richtung nur 2.200 waren.
Kehren wir nun wieder zu unserem Thema der Vereinigung zurück. Ging, wie schon gesagt, zuvor die Initiative jeweils von Hannover aus, so sorgten nun die Eigeninteressen Lindens dafür, dass dort eine gedankliche Wende vollzogen wurde. Hierbei gab es nicht nur Bestrebungen, die Verkehrsverhältnisse neu zu ordnen, sondern auch die relativ schwachen Finanzkräfte der schnell wachsenden Gemeinde in den Wirkungskreis einer großen Stadt überzuleiten. Im Gegenzug überwog jedoch in Hannover inzwischen die Skepsis gegenüber einer Annäherung. So berichtet Walter Buschmann (1981) von folgendem Beispiel:
"Um 1862 hatten sich in Linden über 100 Handwerker angesiedelt, aber die Konkurrenz zu Hannover wirkte sich immer noch nachteilig aus. Als nähmlich 1861 der Lindener Gemeindevorstand die Veranstaltung eines jährlichen Vieh- und Krammarktes zur Unterstützung des örtlichen Handwerks und Handels und zur besseren Versorgung der Bevölkerung beantragte, lehnte die [für die Genehmigung zuständige hannoversche] Behörde ab."
So kam es 1865 zum nunmehr vierten Fusionsversuch (nach 1817, 1827 und 1836), diesmal durch die Gemeindevertretung von Linden, die einstimmig einen Antrag zur Vereinigung mit der Königlichen Residenzstadt Hannover stellte. Das Begehren stieß jedoch in Hannover auf kühle Ablehnung. Heinrich Niemeyer, Lindens Gemeindevorsteher, bemühte sich daraufhin erst einmal weiter um die Erlangung der Stadtrechte. Hannover gab zu verstehen, man wolle zunächst die Vororte Glocksee und Ohe am Ostufer der Ihme enger an sich binden. Danach werde man prüfen, welche Auswirkungen eine Verbindung mit Linden auf die Schuldenentwicklung hätte. Später könne man dann ein klares Urteil abgeben.
Wegen der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen im Jahre 1866 verzögerte sich jedoch die Eingemeindung der Glocksee und der Ohe. Unter dem letzten Welfenkönig, dem blinden Georg V. (1819 - 1878), war das Königreich wie schon unter Ernst August I. von einer besonders reaktionären Politik geprägt. Klaus Fesche (1992) schreibt dazu:
„Unter Georg V. war Hannover wirtschaftlich und sozialpolitisch einer der rückständigsten Staaten des Deutschen Bundes. Durch soziale Härte und die restriktiven Bestimmungen zwischen 1824 und 1864 wanderten 230.000 Hannoveraner aus, vor allem nach Amerika. Zu seiner Bereitschaft, 1866 in den Krieg gegen Preußen zu ziehen, sagte Georg V., als Christ, Monarch und Welf könne er nicht anders."
Im Ergebnis wurde das Königreich Hannover zu einer preußischen Provinz mit einem Oberpräsidenten als Verwaltungschef. Allerdings gab es durch die Okkupation von 1866 keine allzu großen Veränderungen. Die hannoversche Gesetzgebung blieb in Kraft, soweit sie nicht den preußischen Gesetzen entgegenstand.
Unter dem Vorsitz von Stadtdirektor Hermann Rasch lehnte der hannoversche Magistrat im Jahre 1881 Vereinigungsverhandlungen mit der Gemeinde Linden ab.
[Foto: Julius Giere / Quelle: Archiv Historisches Museum Hannover]Für die Stadt Hannover klappte es dann 1869 endlich mit der Übernahme der beiden Vororte Glocksee und Ohe. Die Verhandlungen mit Linden waren dagegen wieder ins Stocken geraten. Im Dezember 1880 startete der Gemeindevorstand von Linden den insgesamt fünften Anlauf. Mit allem Nachdruck und den zur Verfügung stehenden Mitteln wurde versucht, einen einstimmig gefassten Antrag bei der Stadt Hannover durchzusetzen. Als „dringend geboten" formulierte man das Bestreben, endlich die Vereinigung der beiden Nachbarn herbeizuführen. Der Lindener Gemeindevorstand argumentierte, dass es inzwischen eine zehnjährige Denkpause und eine Übergangsperiode zur Eingemeindung der Glocksee und der Ohe gegeben habe, so dass man wohl in Hannover für die zu erwartende Zusammenführung mit Linden genügend Erkenntnisse gesammelt haben dürfte. Aber der hannoversche Magistrat unter der Leitung von Stadtdirektor Johann Carl Hermann Rasch (1810 - 1882) hatte immer noch Bedenken, ernsthafte Prüfungsverhandlungen anzusetzen. Auf einer gemeinsamen Sitzung am 30. März 1881 erklärte sich Hannover nicht zu Verhandlungen bereit. Wieder machte man das „ungewöhnliche Emporschnellen der Kommunalabgaben und ein starkes Anwachsen der Schuldenlast durch Schul- und Wegebau" für die Ablehnung verantwortlich. Selbst die Einschaltung des Oberpräsidenten der Provinz Hannover als Beirat für anschließende Verhandlungen brachte in den Verhandlungen keinen Durchbruch. Der hannoversche Magistrat verwies auf "grundverschiedene Verhältnisse" in den beiden Nachbarkommunen, so dass der Oberpräsident keine Möglichkeit sah, helfend einzugreifen.
Auch einem weiteren Versuch zur Zusammenführung durch den Lindener Bürgerverein im Jahre 1883 war kein Erfolg beschieden.
Neue Hoffnung keimte in Linden auf, als das „größte Dorf Preußens" am 1. April 1885 zur Stadt erhoben wurde. Bereits am 29. März 1883 war der hannoversche Senator Georg Lichtenberg (1852 - 1908), übrigens ein Sohn des hannoverschen Kultusminister Carl Lichtenberg, zum ersten Bürgermeister gewählt worden. Endlich konnten auch in Linden städtische Strukturen und eine moderne Verwaltung entwickelt werden. Planungen auf dem Gebiet des Bauwesens für Krankenhaus, Gasanstalt, Schlachthaus und Wasserleitungen forderten allerdings große finanzielle Anstrengungen.
In der Amtszeit von Stadtdirektor Johann Georg Ferdinand Haltenhoff scheiterte 1889 ein weiterer Vereinigungsversuch am Widerstand der hannoverschen Stadtoberhäupter.
[Zeichnung: A. Rubardt / Quelle: Archiv Historisches Museum Hannover]Der sechste Vereinigungsversuch - wenn man die Initiative des Lindener Bürgervereins von 1883 mitrechnet, sogar bereits der siebte - fiel in das sog. Dreikaiserjahr 1888. Ausgestattet mit den neuen Stadtrechten, erhoffte sich Linden dieses Mal Verhandlungen auf Augenhöhe. Zunächst gab es Vorgespräche zwischen Lindens Bürgermeister Georg Lichtenberg und Hannovers Stadtdirektor Johann Georg Ferdinand Haltenhoff (1836 - 1891). Seitens der Stadt Linden gab es interessante neue Argumente: Als Hauptgrund für die Vereinigung wurde nun geltend gemacht, dass für die Lindener Einwohnerschaft große Anlagen geschaffen werden müssten, die in Hannover bereits vorhanden seien und ohne Weiteres für die Bevölkerung beider Städte nutzbar gemacht werden könnten. Andernfalls müsse Linden als nunmehr selbstständige Stadtgemeinde die erforderlichen Einrichtungen mit hohem Kostenaufwand nochmals, also gewissermaßen als Doppel zu denen in Hannover bauen. Damit würde aber der Grundsatz eines möglichst effizienten Zweck-Mittel-Einsatzes in der Kommunalwirtschaft völlig untergraben. Im Juni 1889 wurde eine Kommission zur Prüfung der Angelegenheit eingesetzt. Sie untersuchte bis in den Dezember 1889 besonders die bestehenden Finanz- und Besteuerungsverhältnisse in ihrer Rückwirkung auf den hannoverschen Steuerzahler. Zum Teil nahm auch Lindens Bürgermeister Lichtenberg an den Beratungen teil. Am Ende gab es auch dieses Mal den schon bekannten abschlägigen Bescheid aus Hannover mit der Begründung, dass die Vereinigung mit den Interessen der großstädtischen Einwohnerschaft nicht vereinbar sei. Dabei waren seinerzeit die Kommunalabgaben in Linden erheblich höher als in Hannover. Aber die Großstädter argumentierten, die besonderen Lasten auf den Gebieten des Schul-, Armen-, Straßenreinigungs-, Wegebau- und Feuerlöschwesens würden ihre Stadt jährlich mit 120.000 Mark zusätzlich belasten, und diese Übernahme erscheine ihnen denn doch zu bedenklich. Vielleicht, so hieß es 1919 in einem kritischen Rückblick in den "Mitteilungen für die Mitglieder des Bürgervorsteherkollegiums der Stadt Hannover", gipfelte zu jener Zeit immer noch der kommunalwissenschaftliche Grundsatz in der Auffassung, dass allein Finanzwirtschaftsfragen entscheidend seien, ohne dabei zu beachten, dass für eine Großstadt die viel bedeutendere Verkehrswirtschaftsfrage, d. h. ein florierendes Wirtschaftsleben ausschlaggebend sei. Es habe dem hannoverschen Magistrat längst klar sein müssen, heißt es dort weiter, dass die sozialen und strukturellen Probleme, mit denen Linden zu kämpfen hatte, an der Ihme nicht halt machen würden.
Damit kommen wir zum insgesamt achten Vereinigungsversuch im Jahre 1895. Wieder wurden die vorausgegangenen Gesprächsergebnisse der beiden Bürgermeister anschließend von der eingesetzten Kommission sowie dem hannoverschen Magistrat und Bürgervorsteherkollegium ablehnend beschieden. Während dieser Zeit war Linden eifrig bemüht, seine Infrastruktur aufzubessern. Bis 1890 wurden alle Straßen gepflastert und es existierte eine regelmäßige Müllabfuhr. Der Lindener Bürgerverein hatte darüber hinaus die Einrichtung eines Wochenmarktes durchgesetzt, ein neues Armenhaus und eine Volksbibliothek eingerichtet. Die Einwohnerzahl war bis 1895 auf 39.851 angewachsen, wovon 79,6% zur Arbeiterschicht gehörten.
Insgesamt wurde die räumliche Erweiterung beider Städte ständig vorangetrieben, nicht zuletzt durch „Zukäufe" der umliegenden Gemeinden. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich Hannover durch die Eingemeindungen von Hainholz, Herrenhausen, List und Vahrenwald stark vergrößert, dann kamen 1907 noch Groß und Klein Buchholz, Bothfeld, Lahe, Kirchrode, Döhren, Wülfel und Mecklenheide hinzu. In Linden war das im Prinzip nicht anders. Im Jahre 1909 wurden Limmer, Davenstedt, Badenstedt und Bornum eingemeindet, 1913 kam dann - gegen starke Widerstände aus Hannover - auch noch Ricklingen dazu. Linden war danach mit seinen 86.500 Einwohnern größer als Städte wie Osnabrück, Hildesheim oder Lüneburg.
Magistratssitzung der Stadt Linden unter Vorsitz von Oberbürgermeister Hermann Lodemann (stehend hinten Mitte) um 1911
[Quelle: Archiv Historisches Museum Hannover]
Obwohl sich bei den Wahlen die Stimmenzahlen für die Sozialdemokraten beständig steigerten, konnten sie einige wichtige politische Forderungen einstweilen nicht durchsetzen. So zum Beispiel den ungehinderten Erwerb der Bürgerrechte oder das Wahlrecht bei den Kommunalwahlen. Bürger konnte nur derjenige werden, der ein Haus oder ein Grundstück besaß oder einen Gewerbebetrieb führte. Für den Erwerb der Bürgerrechte mussten Männer 100 Mark zahlen, Frauen mussten 50 Mark entrichten und auch für jedes Kind wurden 50 Mark fällig. Ebenso gab es bei der Wahl der Gemeindevertreter gravierende Einschränkungen, so dass die Arbeiterbevölkerung praktisch ausgeschlossen war. Das Wahlrecht konnte nur ein kleiner, ausschließlich männlicher Teil der Gesamtbevölkerung ausüben. In Hannover durften von 318.000 Einwohnern nur 11.348 Männer (3,6%) wählen, desgleich durften in Linden von 71.240 Einwohnern nur 1.074 Männer (1,5%) zur Wahl gehen.
Der Reigen der vergeblichen Bemühungen um eine Vereinigung von Hannover und Linden wurde, nachdem ein weiteres Jahrzehnt verflossen war, 1905 und auch 1907 um einen weiteren Versuch von Lindener Seite erweitert. Als Novum gab es aus den Kreisen der Bürgervorsteher gemeinsame Sitzungen mit den stadthannoverschen Körperschaften, die gewissermaßen spontan, das heißt ohne amtliche Voranfrage vereinbart wurden, um Sondierungsgespräche zu führen. Es gab jedoch kaum ermutigende Zeichen, dass man diesmal eine Lösung finden würde. Auf Lindener Seite riefen mittlerweile das Selbstwertgefühl und die Empörung über die ewigen Demütigungen der Stadt Hannover einen besonders ausgeprägten Lokalpatriotismus hervor. Es mehrten sich die Stimmen, die Lindens Selbständigkeit erhalten wollten. Als weiterer „unfreundliche Akt" wurde 1910 der Beschluss des hannoverschen Magistrats empfunden, ab 1913 keine Lindener Bürger mehr in hannoversche Krankenhäuser aufzunehmen.
Im August 1914 brachte dann der erste Weltkrieg jegliche Vereinigungsbestrebungen zum Erliegen. Einstweilen standen andere Themen im Vordergrund. Aber schon wenige Tage nach dem Ende des Krieges im November 1918 stand die Vereinigung von Hannover und Linden wieder auf der Agenda. Wegen der desolaten wirtschaftlichen und politischen Situation drängte das Problem mehr denn je. Deshalb wurden jetzt sog. „schwebende Verhandlungen" zwischen den beiden Nachbarstädten aufgenommen. Die "Mitteilungen für die Mitglieder des Bürgervorsteherkollegiums der Stadt Hannover" fassen das 1919 folgendermaßen zusammen:
„Bei einer ruhigen Betrachtung dieser Entwicklungsepisoden fällt der eigenartige Umstand ins Auge, dass die Anschlussbestrebungen in der Hauptsache stets in Zeiten wirtschaftlicher Bedrückung oder in Zeiten politischer Hochspannung einsetzten. In den Jahren 1828-1830 herrschte bittere Not und verfassungsrechtliche Unruhe im Hannoverlande, 1865/66 flutete die neue politische Welle durch alle deutschen Gebiete, 1888 trat mit dem Thronwechsel eine neue Regierungsgewalt auf den Plan, um 1918 im Wechsel der Dinge der Volksgewalt zu weichen. Und gerade in diesen Zeitläufen äußerte sich das Verlangen nach der Vereinigung am stärksten."
So kam es über hundert (!) Jahre nach den ersten Überlegungen dann doch noch - man mag es kaum glauben - zu den am Ende erfolgreichen Vereinigungsverhandlungen. Leicht haben es sich die damals Verantwortlichen nicht gemacht. Versuchen wir der Reihe nach, den Entwicklungsgang der Verhandlungsgespräche nachzuvollziehen, ohne dass wir uns in deren Details verlieren wollen.
In diesem Fall hat es wieder Vorgespräche gegeben, und zwar zwischen den beiden Oberbürgermeistern Robert Leinert (1873 - 1940) für die Stadt Hannover und Hermann Lodemann (1869 - 1944) für die Stadt Linden. Die Bürgervorsteherkollegien wurden dann später hinzugezogen.
Von größter Bedeutung aber waren die veränderten politischen Verhältnisse. Die vorangegangenen Wahlen vom 23. Februar 1919 (siehe Tabelle oben) hatten ergeben, dass nunmehr die Sozialdemokraten die Mehrheit im Wahlkreis 8 Hannover/Linden besaßen. Der Zigarrenarbeiter Heinrich Meister war der künftige, sozialdemokratische Abgeordnete für Hannover und Linden im Deutschen Reichstag. Damit saß der nationalliberale Verhandlungsführer der bürgerlichen Fraktion in Hannover, der vormalige Stadtdirektor Heinrich Tramm (1854 - 1932), zwar weiter in der städtischen Eingemeindungskommission, jetzt aber nur noch als Bürgervorsteher. Er war auch in den nun beginnenden Verhandlungen der Wortführer der Bürgerlichen, hatte aber in Oberbürgermeister Robert Leinert einen sozialdemokratischen Gegenpart, der die Vereinigung von Hannover und Linden unbedingt zu einem erfolgreichen Ende führen wollte.
Robert Leinert, der sozialdemokratische Oberbürgermeister von Hannover, war in den Verhandlungen von 1919 ein entschiedener Befürworter der Vereinigung mit der Stadt Linden.
[Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz via Historisches Museum Hannover]Heinrich Tramm, hier auf einem Foto von 1928, war als vormaliger Stadtdirektor und als Wortführer der hannoverschen Konservativen ein strikter Gegner der Vereinigungsverhandlungen von 1919.
[Foto: Alex Möhlen / Quelle: Archiv Historisches Museum Hannover]
So ließen sich auch die ersten Wortgefechte an. Immer wieder versuchte Heinrich Tramm, die nicht sehr starke wirtschaftliche Position Lindens mit Argumenten und kritischen Fragen zu allen Finanzbelangen zu erschüttern. In fünf weiteren Sitzungen der hannoverschen Eingemeindungskommission kamen immer wieder dieselben Fragen auf die Tagesordnung, die Oberbürgermeister Leinert meist als schon mehrfach besprochen zurückwies. Noch in der letzten Sitzung am 15. September 1919 stellte Heinrich Tramm den Antrag, dass hinter dem §14 folgender §15 einzufügen sei:
„Als Ausgleich für die Vermögensvorteile, die der Stadt Linden aus dem Anschlusse mit Hannover erwachsen, und zum Ausgleich der Mehrausgaben ... zahlt die Stadt Linden auf die Dauer von 10 Jahren ... die Summe von 1 Millionen Mark jährlich."
In seiner Erwiderung lehnte Robert Leinert diese Forderung rigoros ab und stellte fest, dass es für Linden völlig ausgeschlossen sei, eine solche Belastung einzugehen. Daraufhin machte Heinrich Tramm im weiteren Laufe der Sitzung den „großzügigen" Vorschlag, die Dauer der Zahlungen auf 20 Jahre zu je 500.000 Mark zu strecken.
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang noch an zwei frühere Äußerungen Tramms erinnern, der während seiner Zeit als hannoverscher Stadtdirektor auch „König Heinrich" genannt wurde:
„Es ist geradezu ein Verbrechen, Hannover einen derartigen Ballast anzuhängen, wie ihn Linden darstellt" und: „Eine Eingemeindung Lindens habe ich völlig aus dem Bewusstsein meines Denkens ausgeschlossen" (1908).
Angesichts dieser vom Geld geprägten Haltung ist es wohl kaum verwunderlich, dass Heinrich Tramm bei der Einweihung des hannoverschen Neuen Rathauses am 20. Juni 1913 stolz zu Kaiser Wilhelm II. sagte: "Majestät, alles bezahlt!"
Doch zurück zur entscheidenden Kommissionssitzung in Hannover am 15. September 1919. Vom bürgerlichen Lager wurde Antrag auf Antrag gestellt. Die Lindener Kanalisation und der Bau einer Kläranlage sollten ausschließlich von den Lindener Grundbesitzern bezahlt werden. Dann waren es finanzielle Anstrengungen zur Förderung gemeinsamer Interessen auf dem Gebiete der Wohn- und Industrieansiedlung, der Verkehrsanlagen sowie der Wirtschafts- und Kulturpflege, die in besonderer Weise herausgestellt werden sollten. Des Weiteren wurde der jetzige Zeitpunkt der Eingemeindung bemängelt: Er sei denkbar ungünstig. Auch der Lindner Hafen stand zeitweilig im Mittelpunkt der Debatte. Um es kurz zu machen: Oberbürgermeister Leinert ließ sich auf keine weitere Verlängerung der Diskussion mehr ein. Es sei alles gesagt, alles besprochen, und einige Dingen müssten letztlich in Berlin von Regierungsseite geklärt werden, besonders die neuen Steuerausgaben der dann gemeinsamen Stadt. Eine weitere Sitzung werde es nicht geben, so Leinert, der zur Abstimmung drängte. Daraufhin enthielten sich fünf Kommissionsmitglieder der Stimme, die Mehrheit befürwortete jedoch die Vereinigung. Oberbürgermeister Leinert schloss die Sitzung mit dem Hinweis, der Vertrag samt Begründung werde nun den städtischen Kollegien und dem Lindener Magistrat zugesandt.
Es folgte das eingangs genannte Schreiben des Magistrats der Stadt Hannover, unterzeichnet von Oberbürgermeister Leinert, mit der Einladung zur gemeinsamen Sitzung des Bürgervorsteherkollegiums am Freitag, dem 31. Oktober 1919. Das Schreiben schließt mit den Sätzen:
„So ist es denn, nachdem alle Wünsche der Kommission auf Ergänzung des finanziellen Materials befriedigt, die finanzielle Seite der Eingemeindung aufs eingehendste behandelt und wichtige Fragen geklärt sind, auf eine einmütige Annahme des Eingemeindungsvertrages zu hoffen. Möge ein solcher Beschluss der Großgemeinde Hannover und damit der Gesamtheit ihrer Einwohner zum Segen gereichen!"
Arthur Menge, später langjähriger Oberbürgermeister von Hannover, wollte 1919 noch durch eine Volksbefragung den Vereinigungsbeschluss der SPD-/USPD-Mehrheit in den Bürgergremien verhindern.
[Foto: Alex Möhlen / Quelle: Archiv Historisches Museum Hannover]Gleichwohl kam es in der Sitzung am 31. Oktober 1919 noch einmal zu kontroversen Diskussionen. Schließlich wurde einzeln und namentlich abgestimmt. Für den Zusammenschluss von Hannover und Linden stimmten geschlossen die 48 Bürgervorsteher der SPD und der USPD, dagegen standen die 36 Stimmen der „Bürgerlichen Mitte". Daraufhin versuchte noch Arthur Menge (1884 - 1964), Mitglied der Deutsch-Hannoverschen Partei und später langjähriger Oberbürgermeister von Hannover, eine Volksbefragung zum Zusammenschluss der beiden Nachbarstädte auf den Weg zu bringen. Doch sein Ansinnen scheiterte, weil in der Städteordnung eine solche Maßnahme nicht vorgesehen war. Im hannoverschen Magistrat fand sich eine deutliche Mehrheit für die Eingemeindung Lindens von 16:6 Stimmen bei einer Enthaltung.
In Linden selbst wurde der zustimmende Beschluss sowohl im Magistrat als auch im Bürgervorsteherkollegium einstimmig gefasst.
Den Abschluss der „fast unendlichen Geschichte" (Klaus Mlynek) bildete das Gesetz vom 15. Dezember 1919, mit dem die Vereinigung der Städte Hannover und Linden Rechtskraft erlangte. Es trat am 1. Januar 1920 in Kraft.
Quellen
Magistrat Hannover: Betr. Vereinigung der Städte Hannover und Linden, Magistratsvorlagen an das Bürgervorsteher-Kollegium, Hannover 1919.
Walter Buschmann: Linden, Geschichte einer Industriestadt im 19. Jahrhundert, Hildesheim 1981.
Klaus Fesche: Eine deutsche Vereinigung, Langensalza und die Folgen, in: Olaf Mussmann (Hrsg.): Leben abseits der Front, Hannover 1992.
Georg Hoeltje: Laves - Baumeister seiner Zeit, Hannover 1964.
Klaus Mlynek: „In Linden ist nichts zu finden" oder: die fast unendliche Geschichte einer Eingemeindung, Sonderdruck aus der Geschichte der Region zum 65. Geburtstag von Heinrich Schmidt, Hannover 1993.
Klaus Mlynek und Waldemar R. Röhrbein (Herausgeber): Geschichte der Stadt Hannover, Band 2, Hannover 1994.
Klaus Mlynek und Waldemar R. Röhrbein: Stadtlexikon Hannover, Hannover 2009.
Olaf Mussmann (Herausgeber): Leben abseits der Front, Hannoverscher Alltag in kriegerischen Zeiten, Hannover 1992.
Dank
Wir danken dem Historischen Museum Hannover für die Genehmigung zur Verwendung der Fotos und Dr. Wolf-Dieter Mechler für deren Recherche.
[Eingestellt am 08.04.2012; zuletzt geändert am 23.01.2016]